Die neue Börsenmacht ohne Kartell-Kontrolle

Vor knapp zwei Wochen huschte eine Nachricht über den Ticker, welche spontan und fast von selbst wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist: die Deutsche Börse AG (DB1) fusioniert mit der New York Stock Exchange (NYSE). Es entsteht mit dieser Fusion der größte Handelsplatz für Wertpapiere, Derivate, Indizies und den vielen anderen Erfindungen aus der Finanzwirtschaft. Die Aufregung darüber war nicht einmal messbar. Offensichtlich ist niemanden die Tragweite dieser Fusion bewusst. Oder man ignoriert das Geschehen einfach. Auffällig und geradezu grotesk ist hingegen das Verhalten der obersten Ordnungshüter: das Kartellamt äußerste sich bis dato nicht zu dem Deal.

Zur Hauptaufgaben des Bundeskartellamtes gehört die Durchsetzung des Kartellverbots, die Durchführung der Zusammenschlusskontrolle sowie die Ausübung der Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen. (Quelle Wikipedia) Für den Finanzsektor scheint diese Kontrolle entweder nicht notwendig oder man lässt die Unternehmen einfach gewähren. Dabei ist der Zusammenschluss der Deutschen Börse mit der New York Stock Exchange nicht ganz ohne. Und eigentlich wären alle Bedingungen erfüllt, damit das Bundeskartellamt die Fusion absegnen müsste. Schließlich entsteht durch den Zusammenschluss der größte Handelsplatz für Aktien und Derivate mit einem kombinierten Kapitalwert von fast 26 Milliarden Dollar (Spiegel-Online).

Für Banken und Unternehmen aus der Finanzsektor galten allerdings schon immer ganz eigene Regeln. Bankenmanager müssen sich für ein Missmanagement  nicht rechtfertigen; sie müssen schon erst recht keine Verantwortung dafür übernehmen. Selbst die gängigsten Regelungen sind in der Finanzbranche schwer durchsetzbar. Jüngstes Beispiel ist die Auskunftsverpflichtung bei riskanten Finanzgeschäften wie den hoch spekulativen Derivaten, bei denen bereits viele Anleger mehrere Millionen oder gar Milliarden Euro verloren haben.
Die Finanzbranche steht über den Dingen. Politische Regelungen empfindet man dort immer als störend und nicht selten auch als geschäftschädigend. Man genießt quasi einen unantastbaren Herrschaftsanspruch. Nun ist die Deutsche Börse AG zwar keine Bank, doch dies macht die Gefahr nicht kleiner. Wenn der Börsenplatz ein Freudenhaus wäre, würden sich dort jeden Tag die Freier zusammen mit den Huren treffen. Wer an der Konstruktion ist nun moralisch bedenklicher? Die Hure, welche ihrer Arbeit nach geht? Der Freier, der nur seinen Spaß sucht und der Hure damit ihren Arbeitsplatz sichert? Oder der Besitzer des Freudenhauses, der das Ganze erst möglich macht?

Es scheint so, als hätte man die Banken- und Finanzkrise bereits wieder vergessen. Obwohl sie erst wenige Monate zurück liegt, hat sie den Staat und damit jeden Steuerzahler viel Geld gekostet. Dies tut in der ersten Minute zwar nicht weh und wir leben quasi ebenso beschwingt wie vor der Krise. Doch in dieser Zeit haben mehrere Milliarden Euro einfach mal so den Besitzer gewechselt. Geld, welches der Staat für viele andere Dinge hätte ausgeben können, wurde den Banken „gespendet“, damit diese nicht bankrott gehen. Alleine schon die abstruse Idee einer bankrotten Bank würde bei einem Menschen des 19. Jahrhunderts nur ein Kopfschütteln auslösen. Vor etlichen Jahrzehnten hätte man sich noch gesagt, dass eine Bank nicht bankrott gehen kann. Doch die Zeiten ändern sich, weil die Marktinstrumente und die Finanzprodukte sich ändern.
Heute kauft man nicht nur Aktien und beteiligt sich am (wahren) Wert eines Unternehmens. Heute kann man auch auf fallende Aktienkurse wetten, oder auf die Erfüllung von Termingeschäften wetten. Die Finanzbranche hat noch viele andere, teilweise äußerst abstruse und groteske Produkte eingeführt. So ist es unter anderem möglich, auf den Preis von Ressourcen zu wetten. Davon abhängig ist der Ölpreis, der Preis für Weizen, Mais oder auch Milch. Wenn morgen ein Großinvestor auf den Milchpreis zockt, kostet der Liter Milch im Supermarkt vielleicht übermorgen 2 Euro.

Aber wieso ist es meiner Meinung nach so wichtig, dass das Kartellamt die Fusion untersucht? Ganz einfach. Jedes Finanzprodukt (Termingeschäft, Derivat, Optionsschein, Future-Bond, etc.) ist von den Handelsplätzen dieser Welt abgesegnet und auf den Markt gebracht (worden). Die Betreiber der Börsenplätze, und damit auch die Deutsche Börse AG, sind die Besitzer des Banken-Kasinos. Ohne deren Willen wird ein Finanzprodukt X nicht gehandelt. Doch wo eine Einnahmequelle, da auch ein Weg. Die Deutsche Börse AG verdient an jeder Transaktion mit. Von den Banken kommen jährlich neue Ideen für neue obskure Finanzprodukte. Eine klassische Win-Win-Situation für alle „Angestellten“ im großen Kasino.

Dieser – bereits heute – unkontrollierbare Moloch wird durch die Fusion noch viel mächtiger und noch schwerer zu kontrollieren. Denn dass die Finanzbranche ihre eigenen Regeln hat, müsste sich mittlerweile überall herum gesprochen haben. Da muss man sich schon ernsthaft fragen, wieso den Staatsbeamten aus dem Bundeskartellamt diese Fusion so egal ist.

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