Berlin-Wahl 2011 – Teil 3: Es brennt!

Berlin droht ein heißer Herbst. Damit ist nicht das schwül-warme Wetter gemeint sondern die politisch-gesellschaftliche Stimmung.In Berlin brannte es in den vergangenen Wochen und Monaten unverhältnismäßig oft. Beliebtes Ziel des Brandstifter sind dabei Autos. Alleine in diesem Jahr wurden bereits über 500 Autos in Brand gesetzt. Auf Platz Zwei kommen die brennenden Hausflure. Mit Vorliebe werden dort abgestellte Kinderwagen angezündet. Zu den Pyromanen gesellt sich noch die Senatswahl im September diesen Jahres. Daraus wird ein bunter, politischer Mix für die Zeitungsredaktionen dieses Landes. Es brennt gewaltig auf dem einen oder anderen Schreibtisch.

Schnell bedient man sich an Begriffen wie Gentrifizierung, wenn Gewalt und Zerstörung sich nicht mehr genau einordnen lassen. Gentrifizierung beschreibt die sozioökonomische Umstrukturierung einzelner Stadtteile. Fast ausschließlich geht es dabei um die Verdrängung von sozial schwachen Mietern durch Besserverdiener. Dieses Verhalten ist allerdings nicht nur in Berlin zu finden; daher müssten auch in vielen anderen Städten nächtlich die Autos und Hausflure brennen.
Diesen Umstand erkennen auch Journalisten und suchen daher nach anderen Erklärungsmustern. Gern werden die politischen Lager dazu bedient. Für die Autobrände zeichnen viele Journalisten gewisse Linksradikale dafür verantwortlich. Auch der zunehmende Unterschied zwischen Arm und Reich soll für wachsenden Zündstoff sorgen.

Perfekt ins Bild passte dabei vor wenigen Tagen  die Ausschreitungen in England – vorzugsweise in London. Manche Redaktion titelte darauf hin leicht kühn „Drohen auch Berlin Londoner Verhältnisse?“ Nun, da hat jemand nicht genau recherchiert und einfach Gewaltausbruch mit Gewaltausbruch verglichen. England kämpft nicht erst seit gestern mit einer hohen Arbeitslosigkeit und einem desolaten Sozialsystem. Dies ist der eisernen Politik von Margaret Thatcher zu verdanken. Dass die jugendlichen Randalierer einen Raubzug durch die Elektronikhäuser der Stadt angetreten hatten, lag wohl hauptsächlich am Neidkomplex. Wenn man sich einen großen LCD-Bildschirm nicht leisten kann, stiehlt man ihn eben aus dem Laden.

In Berlin greifen diese Erklärungsmuster nicht. Doch jede Redaktionsstube hat die passende Erklärung dafür, wieso massenweise Autos in Brand gesetzt werden und Hausflure in Flammen stehen. Da sind zum einen linke Steinewerfer, zum anderen frustrierte Arbeitslose und irgendwo mitten drin ein paar Krawalltouristen.
Vor wenigen Tagen wurde ein Zeitungsausträger aus Neukölln im Prenzlauer Berg von der Polizei fest genommen, nachdem er in einem Hausflur einen Brand gelegt hatte. Der junge Mann war geständig und gab weitere Brandstiftungen zu. Als Grund nannte er „Schwabenhass“ an. Kurz zur Erklärung: in den Augen vieler Bewohner wird der Prenzlauer Berg vorzugsweise von Schwaben überrollt. Dies ist zwar nur ein Vorurteil, denn auch andere Kulturgruppen ziehen in den Prenzlauer Berg. Doch es passt in das Bild der Gentrifizierung. War der P-Berg früher mal so linksalternativ wie Kreuzberg, entwickelt sich der Stadtbezirk weiter. Und manchem missfällt diese Entwicklung.

Bei den Autobrandstiftern tappt die Polizei zwar weiterhin im Dunkeln, die Presse verdächtigt hingegen munter den linken Mob. Ein Sozialwissenschaftler sagte kürzlich in einem Radio-Interview (Radio-Eins), dass kein klares Täterprofil erstellt werden kann. Es kann ebenso der frustrierte Gymnasiast sein wie die pyromanisch veranlagte Hausfrau. Außerdem ist oft nie klar, ob der Brand am Auto wegen einem Versicherungsbetrug, wegen Brandstiftung oder aus  Selbstentzündung entstanden ist.

Zu guter Letzt hat das Thema nun auch noch den Berliner Wahlkampf eingeholt. Auf neu beklebten Plakaten greifen gewisse Parteien dazu Thema auf und gehen damit auf Wählerfang.  Die Berliner CDU fragt beispielsweise: „Muss Berlin das verstehen?“ Nein, verstehen muss man das nicht. Allerdings wirkt die Forderung der Berliner CDU geradezu hilflos. Zusätzliche Polizisten sollen die nächtliche Zündelei verhindern oder zumindest eindämmen. An der brennenden Realität würde dies kaum etwas ändern. Denn um einen Grillanzünder auf einen Autoreifen zu legen und anzuzünden, benötigt es nur ein paar Sekunden. Das aufsteigende Feuer sieht man erst Minuten später. Bis dahin ist der Täter bereits Hunderte Meter weit vom Tatort entfernt. Ein Nachweis ist so gut wie unmöglich.

Das Problem der Brandstiftungen ist mannigfaltig und lässt sich nicht auf wenige Stammtischbegriffe runter brechen. Frustration, Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und auch die Spaßgesellschaft sind wohl nur eines der prägnantesten Themen. Doch jedes dieser Gebiete gliedert sich wieder in unzählig weitere Probleme. Vieles ist auf das bestehende Sozialsystem zurück zu führen, doch auch die Tagespolitik tut ihr übriges. Und wohl auch unsere Gesellschaft hat sich im Gesamten gewandelt. Und um diesen komplizierten Brei aus sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen auf einen Nenner zu bringen, greifen Presse und Politik mit Vorliebe zu einfachen Erklärmustern. Damit tun sie sich und dem Volk auf lange Sicht allerdings keinen Gefallen. Denn irgendwann brennen nicht nur mehr Hausflure und Autos sondern verliert die Presse und die Politik ihre Glaubwürdigkeit.

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