Volksentscheid elektrisiert Berlin

Seit Monaten kämpfen die Initiatoren des „Berliner Energietisches“ für den Volksentscheid. Seit Monaten liefern sich Befürworter und Gegner einen Schlagabtausch der Argumente. Kurz vor dem Volksentscheid hat der Berliner Senat zudem halbgare Fakten geschaffen, welche diesen Volksentscheid in Teilen überflüssig machen. Das Land Berlin errichtet ab nächstem Jahr ein eigenes Stadtwerk. Dafür ist im ersten Jahr die „gigantische“ Summe von 1,5 Millionen Euro eingeplant. Dass man mit 1,5 Millionen Euro jedoch rein gar nichts bewirken kann für eine Metropole mit 3,5 Millionen Einwohner, dürfte jedem klar sein. Berlin bekommt daher eher ein Stadtwerkchen.

Dem Berliner Energietisch geht es um viel mehr. Es soll nicht nur ein Stadtwerk gegründet werden sondern auch der Rückkauf der Netzinfrastruktur initiiert werden. Dafür liefert die Initiative sieben gute Gründe für eine kommunale Energieversorgung. Dies sind unter anderem:

Daseinsvorsorge gehört in öffentliche Hand
Ein Konzern orientiert sich vordergründig an wirtschaftlichen Interessen. In Berlin versorgt die schwedische Vattenfall AB die Bürger mit Strom und besitzt dazu seit 2003 den entsprechenden Auftrag. Die Interessen der Bevölkerung lassen sich auch durch entsprechende Vetragsklauseln sichern; dazu benötigt man kein eigenes Stadtwerk. Darüber hinaus ist auch die Infrastruktur der Telekommunikation komplett in privater Hand und funktioniert hervorragend.

100 Prozent ökologische Energie
Eine Stadt mit 3,5 Millionen Einwohner und einem großen Gewerbe- und Industriebereich versorgt sich nicht so ohne weiteres ausschließlich mit Ökostrom. Ich halte es auch für gefährlich, in einer Art Ökodiktatur jedem Bürger die Art der Stromherkunft vorzuschreiben. Wer will, kann bereits heute schon aus einer Vielzahl von Stromlieferanten den für ihn passenden Ökostrom-Anbieter auswählen.
Davon abgesehen bietet das Land nicht genügend Fläche für ökologische Kraftwerke. Ein Beispiel ist das Solarkraftwerk auf dem ehemaligen russischen Militärflugplatz in Groß Dölln bei Templin. Diese kleine und dennoch platzmäßig große Solaranlage liefert Strom für gerade einmal 36.00 Haushalte. Gekostet hat die Anlage 200 Millionen Euro.

Erwirtschaftetes Geld bleibt in Berlin
Die Initiatoren betonen unentwegt, dass sich ein Rückkauf der Netze lohnen würde. Dies ist eine glatte Lüge, welche von der Tatsache ausgeht, dass nur unter optimalen Bedingungen erst in circa 20 Jahren mit einem Gewinn zu rechnen ist. Der Rückkauf der Netze wird minimal mit 400 Millionen Euro veranschlagt. Andere Quellen sprechen gar von 3 Milliarden Euro Kaufsumme. Dazu müsste das Land Berlin langjährige Kredite aufnehmen. Dieses Geld fehlt über Jahrzehnte an anderen Stellen wie dem Schulsystem oder dem Verkehr- und Wegebau.

Energieversorgung demokratisch mitgestalten
Daran haben wohl die wenigsten Berliner ein berechtigtes Interesse. Mitbestimmungsrechte bewirken nur, dass eine aktive Minderheit wichtige Entscheidungen aufschieben oder gar verhindern kann. Dies mag in der Politik ein demokratisches Mittel sein. Bei einem Infrastrukturbetreiber halte ich solche Rechte für ausgesprochen gefährlich.

Energieverbrauch senken
Zitat: „Energieeinsparungen und -effizienz leisten einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz.“ Dieser Satz könnte aus dem Verkaufsprospekt eines Waschmaschinenherstellers stammen. Jeder versucht Energie zu sparen – dazu benötigt es keinen Energieberater. Doch nicht jeder hat die finanziellen Mittel, auf neue, energiesparende Geräte umzusteigen. Nicht jeder hat das nötige Kleingeld für LED-Beleuchtung, Induktionskochfeld oder Wärmepumpentrockner. Energieberatung und Stromsparen ist kein triftiger Grund für die Schaffung eines eigenen Stadtwerkes. Es ist höchstens als Konjunkturmaßnahme für gewisse Industriezweige und als Ausgabeposten zu sehen.

Energiewende sozial gestalten
Eine äußerst schwammige Formulierung. Dahinter steckt, dass einkommensschwache Haushalte gezielt beraten und bei der Anschaffung energiesparender Haushaltsgeräte gefördert werden sollen. Also alles in Allem eine Dopplung des vorherigen Punktes „Energie sparen“. Man könnte jedoch auch einen Eigennutz des Landes dahinter sehen.
Knapp 20 Prozent der Berliner Bevölkerung erhält Transferleistungen vom Sozialamt, Job-Ccenter oder anderen städtischen Behörden. Besonders diesen 20 Prozent wird man den Wechsel zu den Stadtwerken schmackhaft machen, weil dann die Energiekosten zurück in den eigenen Haushalt fließen. „Vom derzeitigen monatlichen Regelsatz für einen Haushaltsvorstand von 351,- Euro entfallen 6,3% (22,11 Euro) auf den Anteil für Energiekosten.“ (Quelle: Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg)

Was der Berliner Energietisch leider nicht erwähnt

Strom wird dadurch nicht billiger.
Der Stromimport von außerhalb des eigenen Netzes wird steigen.Denn das landeseigene Stadtwerk wird nicht in der Lage sein, für alle Verbraucher genügend Strom zu produzieren. Das Stadtwerk muss sich beim Einkauf an den marktüblichen Preisen orientieren, andernfalls arbeitet es defizitär. Ebenso wird das Netzendgeld auf einem ähnlichen Niveau bleiben. Derzeit zahlt der Berliner einen Grundpreis von 78 Euro pro Jahr.

Investitionen
Wie werden notwendige Investitionen gestützt? Ein Großkonzern wie Vattenfall kann im Notfall auf profitable Geschäftsbereiche zugreifen und quer subventionieren. Ein singuläres Stadtwerk hat dazu keine Möglichkeiten. Das Land Berlin ist heute bereits mit knapp 60 Milliarden Euro verschuldet. Werden bei einer Haushaltssperre wichtige Investitionen in die Netzinfrastruktur verschoben? Leidet gar das ganze Stromnetz an der Knappheit öffentlicher Kassen?

Fehlende Kompetenzen
Dem Vattenfall schreibe ich persönlich eine große Kompetenz zu. Schließlich beschäftigen sich alle Mitarbeiter in diesem Konzern nur mit dem Thema Stromgewinnung und Stromversorgung. Ein Stadtwerk müsste sich diese Kompetenzen erst erarbeiten oder im schlimmsten Fall teuer einkaufen. Und jeder weiß, wie effizient städtische Angestellte oder Beamte arbeiten.

Kein städtischer Betrieb arbeitet gewinnbringend
Das in meinen Augen größte und offensichtlichste Problem. Die BVG (Berliner Verkehrsbetriebe) bekommt vom Land Berlin pro Jahr eine öffentliche Zuwendung von knapp 300 Millionen Euro. Die Berliner Bäderbertriebe sind reine Zuschussbetriebe. Auch Straßen verfallen, weil nicht genügend Geld vorhanden ist. Aber beim Stadtwerk wird alles ganz anders werden; davon träumen zumindest die Befürworter.

 

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