SomaFM vor der Schließung – nur wegen der Gier der Musikindustrie

Internet und Musik das passt so perfekt zusammen wie Brot und Butter; ohne das eine schmeckt das andere völlig belanglos. Die Medienkonzerne wie Microsoft, Yahoo und auch Google reden gern davon, dass das Medium E-Mail die wichtigste Errungenschaft im Internet sei. Doch ich finde, dass die Musikübertragung über das Netz der Netze fast ebenso prominent anzusehen ist. Internetradios (sogenannte Webcasts) bilden hierzu eine wichtige Säule. Aber gerade diese Basis beginnt dieser Tage merklich zu bröckeln. Ein Einsturz droht – von der Musikindustrie provoziert und inszeniert.

Um was gehts?
Im amerikanischen Repräsentantenhaus gab es am 26. April eine Anhörung zum Thema Webcasts (Stichwort IREA – Internet Radio Equality Act). Die beiden US-Repräsentant Don Manzullo und sein demokratischer Kollege Jay Inslee wollen, dass Webcasts bis zum Jahr 2010 höchstens 7,5 Prozent des Umsatzes abführen sollen. Da auch Internetradios dem 1995 beschlossenen DPRA (Digital Performance Right in Sound Recordings Act) unterliegen, sollen diese nun verstärkt zur Kasse gebeten werden. Wer schließlich Musik mit Copyright-Schutz ausstrahlt, hat gefälligst auch dafür Gebühren zu zahlen, so die Argumentation des CRB (Copyright Royalty Board). Es geht dabei um eine satte Anhebung der Lizenzgebühren von 300 bis 1200 Prozent.
Beim bisherigen System hat man zur Ausstrahlung bzw. Übertragung eine Internetradio-Gebühr plus einen kleinen Prozentsatz der eigenen Gewinne gezahlt. Beim neuen System zahlt man eine Gebühr pro Song und pro Zuhörer. Hinzu kommt, dass der neuen Regelung rückwirkend alle ausgestrahlten Songs ab dem 1. Januar 2006 unterliegen.

Beschallung aus dem Internet.
Das Internetradio SomaFM aus San Francisco (Kalifornien, USA) ging im Februar 2000 das erste Mal auf Sendung. Das Angebot umfasst fast jeden Musikgeschmack und wird auf neun Kanäle verteilt: Trance, Dance, Rock, Pop, Indie, Jazz, House, Chillout, und Ambient. Und das ist das Faszinierende an SomaFM: die Qualität ist stets hervorragend. Es wird kein Kommerzmüll gespielt, nur weil ein Plattenlabel es gern so hätte. SomaFM hat seinen eigenen Stil und seine eigenen Qualitätansprüche. Unterbrochen wird das Programm so gut wie nie. Offizielle Werbung gibt es überhaupt nicht. Sollte die Musik dennoch mal kurz unterbrochen werden, bekommt man nette Eigenwerbung zu hören. Man ist bei SomaFM stolz auf sein Angebot und die Hörer honorierten dies bis dato ebenso. SomaFM konnte die zurückliegenden sieben Jahre ohne größeren Einbrüche überleben und sendet seine Radio-Channels noch heute. Die Summe der Spenden und Erlöse aus Merchandising sorgten für einen ausreichenden Puffer, um stets die monatlich sehr hohen Server- und Trafficgebühren zu zahlen. Reich werden wollte von den Gründern und Mitarbeiter von SomaFM eh keiner. Es geht allen in erster Linie um die Musik – um kommerzfreie Musik.

Zahlemann und Söhne.
Die Erhöhung der Lizenzgebühren kommt natürlich nicht von alleine. Auch wäre kein Politiker scharf darauf, diese Gebühr so überzogen zu erhöhen. Doch die amerikanische Musikindustrie dreht ebenso am hohlen Rad wie die deutschen Kollegen. Die Manager haben durch abstürzende Gewinnaussichten Blutleere im Hirn und agieren unüberlegt bin hin zu irrational.
Bei SomaFM heißt dies in konkreten Zahlen: zahlte man bisher eine Lizenzgebühr von bis zu 5.000 US-Dollar pro Jahr, so sind es für das Jahr 2006 stolze 600.000 US-Dollar und hochgerechnet auf das Jahr 2007 gar über eine Million US-Dollar. Machten die damaligen Gebühren ca. 10% der Einnahmen aus, so muss SomaFM nun das Vielfache der Einnahmen an Lizenzgebühren zahlen.

Je mehr hören, desto schneller tot ist SomaFM.
Es klingt nach einem kleinen Paradoxon. Normalerweise freut sich jeder über mehr Kundschaft. Doch in diesem Fall ist es – nach der momentanen Lage – der Genickbruch für SomaFM. Da man nach der neuen Regelung pro Lied und Zuhörer zahlen muss, ist jeder weitere Gast eigentlich schädlich für das Ganze. Doch bei SomaFM gibt man sich kampfbereit. Entweder alles oder gar nichts. Gekämpft und Musik wird ausgestrahlt, bis per richterlichen Verfügung der Server vom Netz muss.

Musik muss man hören, sonst kauft sie keiner.
Wer bei der Musikindustrie arbeitet, muss offensichtlich sein Gehirn morgens an der Pforte abgeben. Gedankenlos wirtschaftet man seine letzten unabhängigen Vertriebskanäle in den Ruin. Bei der Musikindustrie ist man immer noch der Meinung: nur Musik gegen Bares ist Wares. Doch da schneiden sich die Herren ins eigene Fleisch. Musik muss man erst hören, um auf die Idee zu kommen, genau jenen Song oder gar das ganze Album kaufen zu wollen.
Musik wartet nicht wie Wurst an der Fleischtheke auf seine Kunden. Musik muss sich verbreiten – je vielschichtiger umso besser. Und wenn man für diesen Weg der Erstdistribution nicht einmal eine eigene Logistik benötigt, könnte es nicht besser laufen für die ganze Musikindustrie. Doch wahrscheinlich sehen die alten Zankäpfel bereits ihre Gewinne davon laufen, wenn der Song gerade frisch das Studio verlässt. Umsatzoptimierung bis zum Blutvergießen.

SomaFM ist nur ein Opfer von vielen.
Am 15. Juli 2007 ist der Tag der großen Entscheidung. Hat man bei SomaFM die 600.000 US-Dollar für das letzte Jahr? Wenn ja, kann der Sendebetrieb erst einmal weitergehen. Wenn nicht, dann endet eine Geschichte der erfolgreichsten Internetradios der Welt. Doch SomaFM steht mit diesem Problem nicht alleine da. Unzählig viele Internetradios werden in den nächsten Wochen einfach sang- und klanglos in den Untiefen des World Wide Web verschwinden – der Profitgier der Musikindustrie sein Dank.

Wie lautet so passend eine Prophezeiung der Cree-Indianer: „Erst wenn der letzte Baum gefällt, der letzte Fluss vergiftet und der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann.“ Bei der Musikindustrie ist die Erkenntnis zu dieser Weisheit so weit entfernt wie eine Marsmission für Schimpansen. Oder ist es gar der Wunsch der Industrie, dass wir in ein paar Jahren nur noch uniformierte Standardkost aus der Retorte zu hören bekommen?

Ohren zu und durch!

Please wait...

3 Kommentare

  1. „Musik muss man erst hören, um auf die Idee zu kommen, genau jenen Song oder gar das ganze Album kaufen zu wollen.“

    Warum sollte ich nochmal Musik *kaufen* wenn ich das alles umsonst und in sehr guter Qualität bei SomaFM haben kann?

  2. Auf SofaFM oder anderen Webcasts bekommt man nie das ganze Album zu hören sondern allenfalls ein oder zwei Titel. Wer also mehr von einer bestimmten Gruppe hören möchte, kommt am Album nicht vorbei.

    Darüber hinaus ist ein Webcast immer ’nur‘ ein Stream, welcher sich schwer speichern lässt. Möchte man zeitweilig allerdings gern immer die selbe Gruppe/Titel hören, muss man sich dies selbst besorgen, was auf legalem Weg meist heißt: Album kaufen.

  3. Hallo zusammen,
    seit nunmer ca. 3,5 Jahren höre ich SomaFM regelmäsig. Erst durch diese vielschichtigkeit der Sender bzw. des Programms (Chillout/Ambient) bin ich überhaupt an so manchen Künstler geraten, von dem ich bis dato noch niemals etwas gehört hatte.

    Nun, wie schon gesagt wurde: Es laufen nur einzelne Songs und keine ganzen Alben. Auf die Künstler wird auf der Homepage ein Link zur Homepage der Künstler bzw. zu Amazon gesetzt. Somit habe ich mir von einigen auf SomaFM gehörten Künstlern mindestens ein Album gekauft und ebenso an SomaFM gespendet.

    Daher kann ich die ganze Hysterie über die Gebühren nicht ganz nachvollziehen. Wir leben nun mal in einem neuen Zeitalter der Elektronik, der Datenübertragung und der Information. Daher sollten wir alle, insbesondere die Musikindustrie, umdenken.

    Ohne Information (z.B. über neue Künstler, Labels und Musikrichtungen) wird es keine Nachfrage geben, oder stellt ihr euch um neue Künstler zu entdecken, stundenlang in die CD-Abteilungen der Elektro-Märkte (Media Markt, Müller, etc.)?

    Ich freue mich über den Erfolg von SomaFM und versuche den Sender mit meinen Mitteln zu unterstützen.

    NACHTRAG:
    Mir geht nämlich auch die ganze Kommerzialisierung tierisch auf den Keks!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.