Die Piratenpartei und die Frage nach den Inhalten

In Berlin erlangten die Piraten 2011 bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 8,9 Prozent. Letzten Sonntag im Saarland holte die Partei 7,4 Prozent. Dieses Jahr stehen noch Wahlen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen aus. In den letzten Umfragen wird die Piratenpartei zwischen sechs und sieben Prozent gesehen. Wo es Gewinner gibt, sind auch die Neider nicht weit. So hatte zuletzt der FDP-Generalsekretär Patrick Döring von einer „Tyrannei der Masse“ gesprochen und damit einen Shitstorm ausgelöst.

Inhalte und Programme

Womit kann man PP-Mitglieder oder auch Wähler der Piratenpartei am einfachsten zur Strecke bringen? Man fragt sie nach Inhalten. Den selben Mechanismus wenden auch etablierte Politiker an. Fragt man einen gestandenen Volksvertreter zu den Piraten, hört man meist einen Aussagenmix aus Neulinge, Internetpartei, Unfähigkeit und Transparenz. Es ist immer einfach von einer höheren Position herab zu sprechen. Hinzu kommt, dass die Piraten auf dem politischen Feld eine Konkurrenz bilden. Und Konkurrenten bekämpfen sich – meistens zumindest.

Wenn gestandene Politiker von einer inhaltsleeren Partei sprechen, dann ist das so unsympathisch, als würden Verlage missbilligend auf Blogger schauen. Nur weil die Piraten nicht die jahrzehntelange Erfahrung aus der Fraktionsarbeit vorweisen können, sind sie nicht weniger politisch oder haben deswegen keine Inhalte. Spiegel-Online spielt mal wieder die dritte Macht im Lande und stellt fest: Die freundliche Ahnungslosigkeit der Piraten. Die Medien erwarten von PP-Vertretern, dass sie zu alles und jedem eine Meinung – nein einen passenden Standpunkt – haben müssen.

Spiegel-Online: „Sie zeigten sich polemisch, etwa der schnodderige Lauer bei Illner. Sie können langweilige Standardsätze herunterbeten, so wie Nerz bei Beckmann.“ Nun aber mal ehrlich: was unterscheidet einen Lauer oder Nerz von einer Nahles oder einem Rössler. Geschwollene Sätze bringen alle Politiker hervor. Dies ist kein Zeichen für das Vorhandensein von Inhalten.

Der Aufstieg der Piratenpartei ist so fulminant wie der Abstieg der FDP. Anfangs interessierten sich die Medien nur sehr verhalten für die Piraten. Dies hat sich grundlegend geändert. Mittlerweile werden gar schon die fünf größten Gefahren der Piraten gesucht.In einer PR-Agentur würde man konstatieren: Bad news are good news. Doch das Problem ist vielschichtiger. Vielen Medienvertretern passt es nicht ins Bild, dass ein Haufen Internet-Nerds in Landtagen mitentscheiden kann. Nicht nur die Piratenpartei steht im Fokus, auch die Wählerinnen der Piraten.

Gewählt wegen einem einzigen Thema?

Noch vor zwei Jahren wurde jeder PP-Wähler als ein Lichtblick in der vertrockneten neoliberalen Parteienlandschaft gefeiert. Heute gilt der selbe Wähler als stille Gefahr für die Stabilität der politischen Arbeit. Und dies nur, weil die Piratenpartei immer noch kein Grundsatzprogramm vorweisen kann. Doch ist es eine Schande, dass eine junge Partei sechs Jahre nach ihrer Gründung noch keine umfassende Programmatik ausgearbeitet hat? Und die andere Frage ist: muss sie dies überhaupt?

Es gibt viele Splitterparteien in Deutschland, die nur ein einziges Thema bearbeiten. Viele davon existieren bereits seit Jahren. So zum Beispiel die 1993 gegründete Partei Mensch Umwelt Tierschutz (Tierschutzpartei). Oder die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) welche sogar in den Landtagen von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen vertreten ist.

Dem Wähler geht es in erster Linie nicht um verschwurbelte Grundsatzprogramme, an die sich am Ende eh keiner hält. In erster Linie wählt man eine Partei wegen der eigenen oder der proklamierten Lebenseinstellung. Was gern als Oberflächlichkeit bezeichnet wird, ist genau jener wahlentscheidende Fakt. Die SPD steht für Soziales, die CDU für Arbeit und Familie, die Grünen für ökologische Themen und die Piraten eben für internetrelevante Anliegen.

Weshalb die Piraten oft als Gefahr gesehen werden, liegt in erster Linie in ihrer Parteienstruktur. Das übliche Top-Down-Machtgefüge gibt es bei den Piraten nicht. Jemand der an der Spitze steht, hat genau so viel Macht und Mitspracherecht wie jemand aus der Basis. Dies nennt sich gelebte Demokratie oder im Internetsprech ausgedrückt: Liquid Democracy.

Unsere heutige Parteienlandschaft ist die demokratische Folgeversion des Kaiserreiches. Es gibt ein paar wenige Machthabende an der Spitze und viele, die von unten zuschauen dürfen. Daher streben Politiker immer nach der höheren Ebene. Als Plattform dienen ihnen Talkshows, wo sie die immer gleichen Phrasen abspulen können. Vielen Wählern und Zuschauern mag diese Art der politischen Unterhaltung genügen. Für einen Piraten ist dies jedoch Demokratiequälerei.

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