Tumult und Chaos im deutschen TV-Programm

Sie brauchen noch ein Thema für das jährliche Sommerloch? Wie wäre es mit einem Blick in das aktuelle TV-Geschehen. Das ZDF kämpft gegen Karl Moik und den Verband der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schlager und Volksmusik, die ARD hat ein riesiges Problem mit der Tour-de-France-Übertragung wegen der andauernden Doping-Affären, Sat1 trennt sich von fast allen Nachrichtensendungen und arena ist pleite und löst ihre Bundesliga-Rechte auf. Es herrscht Krisenstimmung auf dem deutschen Fernsehmarkt. Die Kommerzialisierung treibt ihre wildesten Blüten und hinzu kommen hausgemachte Probleme der einzelnen Sender.

Weniger Volksmusik beim ZDF.
Wie bereits berichtet, möchte das ZDF (Zweites Deutsches Fernsehen) weniger Volksmusiksendungen ausstrahlen. Die jüngeren Zuschauer wird es freuen, die Senioren unter den Konsumenten sehen es hingegen mit Sorge. Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schlager und Volksmusik samt dem gesamten prominenten Stab an Moderatoren sieht darin eine Diskriminierung und plant eine Klage gegen das ZDF. Wann plant die erste Jugendorganisation die erste Gegenklage? Was hat die Verlagerung von Sendeinhalten mit Diskriminierung zu tun? Nach der Logik der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schlager und Volksmusik wäre der Sender Phoenix ein Paradebeispiel für die Gegner: keine einzige Volksmusiksendung dagegen den ganzen Tag nur Nachrichten und (politische) Reportagen.

Und bei der ARD? Alles Doping!
Was hat man sich beim Radsport nicht schon alles für Fragen gestellt. Geht das überhaupt ohne Doping? Wo fängt Doping an? Wie geht man beim Sender mit dieser Problematik um?
Ich behaupte, dass der professionelle Radsport ohne Doping keine Überlebenschance hat. Doping fängt schon damit an, wenn ein Radprofi einen Asthmaspray verschrieben bekommt; für die unweigerlich einsetzenden Atembeschwerden bei oder nach einem anstrengenden Rennen. Auch der übermäßige Konsum von Schmerzmitteln ist prinzipiell Doping. Kriminell wird es beim Einsatz von Epo (Erythropoetin) und anderen künstlichen Hormonen zur Muskelbildung.
Bei der Tour-de-France geht es für die Rennställe und Sponsoren um Millionen von Euro. Ein zehnter Platz in der Rangliste bringt dort reichlich wenig. Also muss der Sportler an seine Leistungsgrenze heran geführt werden – notfalls mit Doping. Genügend abschreckende Beispiele wurden in der letzten Zeit bereits offen gelegt: Jan Ullrich (angeblich immer noch ungedopt), Jörg Jaschke, Erik Zabel und viele weitere. Das Doping im Radsport zieht sich wie ein roter Faden durch alle Lager.
Und was machen die, die darüber berichten? Die schreibende Zunft zerfetzt jeden neuen Fall in der Luft, berichtet allerdings selten über die Gründe, welche den Rennfahrer zum Doping gezwungen haben. Die Öffentlich-Rechtlichen Sender, vorneweg die ARD, welche die Berichterstattung zur Tour-de-France durchführen, stehen vor einem Scherbenhaufen. Die ARD, eng mit dem Radsport verbunden, erkannte die Chancen und Risiken des Dopings. Immer wieder wird auf dem Sender betont, dass man gegen Doping ist. Doch, die ARD kann nicht ohne die Tour-de-France und gerade die deutschen Rennställe können nicht ohne die ARD. Wenn keiner mehr das größte Radrennen der Welt schaut, verlieren die Sponsoren ihre Werbeeinnahmen, die Tour wird unattraktiv. Bei der ARD hoffte man wohl auf das Gute im Menschen und machte das Spiel vorerst mit. Doch die Kalkulation ging gründlich nach hinten los. Patrik Sinkewitz aus dem Team T-Mobile steht unter dem Verdacht, gedopt zu haben. Die ARD stoppte postwendend ihre Berichterstattung. Doch was bringt es? Nichts. Gedopt wird weiter. Alexandre Vinokourov, der bis dato führende Fahrer, hat Fremdblut-Doping betrieben. Der Kollaps ist perfekt. Doch, the show must go on, sagt man sich beim Veranstalter. Paradoxer und grotesker könnte die Tour-de-France nicht enden. Ein ewiger Sumpf aus Doping, Machtkampf und der süßen Verlockung von viel Geld.
Wann macht die ARD den ganzen Schritt und zieht sich komplett aus der Berichterstattung zur Tour-de-France zurück? Die Medien haben die nötige Macht, um für ein reinigendes „Gewitter“ zu sorgen. Doch die Gier auf Sponsorengelder ist (wohl) größer.

Sat1 – der Sender ohne Gesicht und ohne Nachrichten.
Die ProSiebenSat1-Media-AG ist in den Fingern gieriger Investoren gefangen. Nicht mehr das Programm steht im Vordergrund sonder die Rendite. Notfalls wird eben am Programm gespart – Hauptsache am Ende des Jahres kann man den Aktionären eine 20-prozentige Gewinnsteigerung präsentieren. Kann dies auf Dauer gut gehen? Wie der Schuss gründlich nach hinten los gehen kann, zeigt das jüngste Beispiel aus der großen Senderkette: bei Sat1 gibt es zukünftig nur noch seichtes Infotainment.
Um Geld zu sparen und dabei auch noch professionell zu wirken, benötigt man eine Unternehmensberatung – kuriose Welt. Die Unternehmensberatung McKinsey hat den Sender genauer unter die Lupe genommen, und dabei festgestellt, dass die Nachrichtenformate wohl viel kosten aber wenig Gewinn einspielen. Also: weg damit. Man muss fairer weise erwähnen, dass die Berichterstattung bei den Privaten, außer bei RTL, keinen großen Stellenwert genießt. Die Abendnachrichten bei Pro7 wurden schon vor längerer Zeit abgeschafft, Kabel-1 hält es mit Nachrichten wie mit der Bekanntgabe von Lottozahlen und N24 mutiert immer mehr zum Reportagen-Dauerwiederholungskanal.
Doch ist es eine gelungene Tat, wenn man bei einem solch großen Sender wie Sat1 komplett auf das Thema Nachrichten verzichtet? Was wird aus dem Sender? Geplant ist eine Mischung aus Infotainment, Comedy und Realityformaten: absolut oberflächliches Weichspülerprogramm für den blind konsumierenden Coach Potato. Mit dieser Taktik taucht Sat1 vollends ab in die Abgründe der belanglosen Sender, deren Zahl von Tag zu Tag größer wird.
Hilft dies der Rendite der Media-AG? Äußerst fraglich. Natürlich werden einmalige Einspareffekte die Bilanz schönen. Doch was ist im nächsten Jahr und im Jahr darauf? Dann wird eben an anderen Formaten gespart oder die Wiederholungsrate wird erhöht. Doch was macht man, wenn man nichts mehr einsparen kann? Man spart am letzten Kostenpunkt: den Austrahlungskosten. Kamera aus, Licht aus, alle gehen nach hause. Dies wäre zumindest konsequent.

Und bei ProSieben? Der immer junge Sender kämpft mit den selben Problemen. Sendungen, welche bereits nach der zweiten Ausstrahlung unterhalb des erhofften Limits liegen, werden ohne Vorankündigung aus dem Programm geschmissen. Die Rendite steht schließlich im Vordergrund. Um diese zu erhöhen, benötigt man nebenbei große Events. Da erlaubt man sich auch mal gern, aus dem kompletten Tagesprogramm eine Dauerwerbesendung für den neuen Kinofilm der Simpsons zu machen. Was kommt als nächstes? Eine ganze Woche versteckte Werbung für den neuen Mc-Double-Seven des Burgerbrates „Golden-M“? Passen würde es: weichgekochte und leichtverdauliche Industrienahrung, optimiert und ökonomisiert, damit am Schluss die Rendite stimmt.

Rote Karte und Platzverweis für arena.
Wer kein eingefleischter Fußballfan ist, versteht den ganzen Trubel eh nicht. Da kommt ein neuer Sender, die arena Sport Rechte und Marketing GmbH, eine Tochter des Kabelnetzbetreibers Unity Media, und kauft für 240 Millionen Euro pro Saison die Ausstrahlungsrechte für die Bundesliga und sagt allen Interessierten: wenn ihr zukünftig die Spiele live und in voller Länge sehen wollt, müsst ihr euch ein Abo kaufen und den passenden Decoder besorgen. Zu empfangen ist das Ganze aber nur über Satellit oder vereinzelt in den Kabelnetzen. So viel Stress für ein bisschen Fußball?
Große Pläne hatte man bei arena. Zwei Millionen Abonnenten wollte man. Am Schluss waren es dann doch nur fast die Hälfte. Es gibt in Deutschland offensichtlich doch nicht so viele Fußball-Enthusiasten, welche sich mit jeder Bevormundung an ein kostenpflichtiges Abo binden möchten. Fußball-Bundesliga ja, komplizierte Technik und Monatsgebühren von 15 Euro eher nein.
Der Konsument hat ein Machtwort gesprochen. arena stellt den Sendebetrieb ein. Der frühere Bundesliga-Sender Premiere macht dort weiter, wo der unbeliebte Konkurrent arena aufgehört hat.
Bei Premiere braucht man ebenfalls wie gehabt einen Decoder, um die 22 Jungs auf dem Grün kicken sehen zu können. Doch Premiere-Kunden gibt es viele, Premiere hat eine größere Verbreitung und teurer wird es auch nicht.
Viele hatten schon von Anbeginn gezweifelt, ob dieser gesonderte Weg von arena gut gehen wird. Vieles sprach für einen überzogenen Machtkampf zwischen Unity Media und Premiere. Die Rechnung hat der Kabelnetzbetreiber nun kassiert. Die finanzielle Vermarktung der Bundesliga-Spiele kennt wohl doch eine obere Grenze. Dieser Dämpfer ist hoffentlich auch bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) angekommen. 240 Millionen Euro pro Saison für die Übertragungs- und Vermarktungsrechte sind eine eher utopische Summe. Etwas mehr Bodenhaftung schadet auch der DFL nicht.

Und sonst so?
Bei Neun-Live kämpft man mit den Dauervorwürfen, der selbsttätig intelligente Hot-Button schlägt immer genau dann zu, wenn die Anzahl der Anrufer wieder abnimmt oder das Ende der Sendung naht.

Bei Questico, diesem ebenfalls zweifelhaften Sender, werden Aussagen von (Hobby-)Astrologen getroffen, welche selten den Gehalt eines Horoskopes aus dem Kaugummiautomaten übersteigen.

Bei QVC, HSE24, RTL-Shop und wie sie alle heißen wird weiterhin für überteuertes Geld der billige Plunder vom Jahrmarkt verkauft.

Fernsehen war noch nie so schlecht wie heute. Der Volksverdummung wird in medialer Weise Rechnung getragen; nur nicht zu viel Informationen, alles schön seicht und leicht verdaulich. Darüber hinaus wird Werbung immer perfider und gezielter verpackt. Der Kommerz lässt grüßen.

Ist eine Besserung in Sicht? Ja! Bald wird die Mehrheit der Bevölkerung so verblödet sein, dass sie nicht mehr merkt, wie der audiovisuelle Irrsinn Schmerzen im Kopf verursacht. Die Rettung ist nah – schaut mehr fern(sehen).

Please wait...

Ein Kommentar

  1. Und du schaust da immer noch rein? Welch eine Geduld! Welch eine Ausdauer! ;))

    Gute Serien gibts inzwischen auf DVD zu kaufen – für mehr hatt ich die Glotze eh nimmer an..

    Empfehlungen: Firefly, 24, Six feet under, Enterprise (damals auch abgesetzt zugunsten kostengünstiger Reality Shows)…

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