Ein Schulsystem mit Noten für eine Arbeitswelt ohne Noten

Dieser Tage erhalten wieder zigtausende Schüler ihre Zeugnisse. Sie erhalten Noten für die Schulfächer Mathematik, Deutsch, Englisch und viele andere Wissensgebiete. Bei vielen wird die Freude groß und bei einigen der Frust über Schule und schlechte Noten katastrophal sein. Mit dem sechsten Lebensjahr werden wir in ein System gesteckt, welches aus Leistungsvergleich und Klassenkampf besteht. Doch gerecht wird dieses System weder den Strebern noch den Sitzenbleibern.

Jahrelang pauken wir Vokabeln und krude mathematische Formeln. Jedes Jahr steigert sich die Komplexität, ohne dass wir als Schüler darin einen erkennbaren Nutzen sehen. Wir beschäftigen uns als 15-Jährige mit Wissensgebieten, mit denen wir aktuell und auch später in seltenen Fällen etwas anfangen können. Und jedes halbe Jahr kommen die Prüfungen, welche das auswendig erlernte Wissen abfragen. Alle sechs Monate erhalten wir Zeugnisse dafür, um zu sehen wie gut oder schlecht wir uns Dinge merken konnten.

Wer nach der Hochschule eine Fachhochschule oder Universität besuchen möchte, für den geht das Sammeln von Noten beziehungsweise Punkten noch ein paar Jahre weiter. Und wieder auch nur dafür, um von einem Semester ins nächste zu gelangen. Und auch beim Studium lernen wir Dinge auswendig, die später im Berufsalltag keine Bedeutung mehr spielen. Von allem ein bisschen, lautet die Devise im Studium. Unter günstigen Voraussetzungen sind wir nach 17 Jahren Schule und Studium so weit fertig, um uns bei einer Firma bewerben zu können.

Wir schreiben aufwendige Bewerbungsmappen, heften alle aktuellen Zeugnisse hinzu und hoffen darauf, dass der Personalchef eine Einladung ausspricht. Doch kaum sitzen wir beim ersten Bewerbungsgespräch, stellen wir mit dezentem Erschrecken fest, dass über die Noten gar nicht gesprochen wird. Den Entscheider interessieren ganz andere Dinge wie Auslandserfahrungen, soziales Engagement oder Freizeitaktivitäten. Welche Noten wir in Mathe hatten, interessiert ihn nicht einmal am Rande.

Oft wird die Montessoripädagogik oder werden die Waldorf-Schulen belächelt als großer Kindergarten wo man lernt, seinen Namen zu tanzen. Doch um Bildung zu erlernen oder zu erlangen, braucht es Muse und Freiheiten. Das Gegenteil zeigt der Lernstress im regulären Schulsystem. In kürzester Zeit werden den Kindern unnütze Informationen eingetrichtert und wieder abgefragt. Die Lage wird noch dadurch verschlimmert, in dem leistungsschwache und leistungsstarke Schüler nebeneinander im selben Klassenraum sitzen und sich gegenseitig blockieren.

Der Autor Richard David Precht hat dazu ein lesenswertes Buch geschrieben: „Anna, die Schule und der liebe Gott: Der Verrat des Bildungssystems an unseren Kindern„. Er hinterfragt, wie unser Bildungssystem in 20 Jahren aussehen könnte. Für was interessieren sich die Kinder, wie lernt man und wann lernt man am besten. Er bemängelt, dass unser derzeitiges Bildungssystem wenig mit Bildung zu tun hat und dass wir Bildungsniveau verwechseln mit dicken Lehrbüchern.

Unser Bildungssystem des 21. Jahrhunderts „züchtet“ immer noch kleine preußische Staatsbedienstete hervor, die streng nach Vorschrift lernen und später streng nach Vorschrift ihren Dienst tun. Die Industrie des 21. Jahrhunderts ist jedoch bereits einen ganzen Quantumsprung weiter. Der Quartärsektor (Informationssektor) braucht immer mehr Mitarbeiter. Dort geht es nicht um das Abarbeiten von Vorschriften sondern um interdisziplinäre Aufgaben. Darauf sollten wir unsere Kinder vorbereiten und sie nicht länger sinnfreie Noten sammeln lassen.

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