Unsere verstrahlte Regierung

Ist Atomkraft sicher oder nicht? Sicher ist, dass man sich nie ganz sicher sein kann. Doch gerade um diesen Wortbrei herum hat sich die Politik zusammen mit den Energiekonzernen jahrzehntelang gedreht. Sicherheit ist eine Definitionssache. Wenn man mit einem schwerwiegenden Störfall nur alle 100 Jahre rechnet, sind Atomkraftwerke „per se“ sicher. Dumm nur, wenn eben dann doch der unerwünschte GAU eintritt. Ebenso verhält es sich mit Naturkatastrophen. Mit einem solch schweren Erdbeben wie in Japan (9,0 auf der Richterskala) rechnet man eben nur alle 1000 Jahre. Dumm nur, wenn es dann doch irgendwann passiert.

Beim Thema sichere Atomkraftwerke sagte kürzlich ein Risikoforscher im Fernsehen, dass man dies als ein kalkuliertes Risiko ansehen müsse. Sicherheit ist eine Frage des Geldes. Und die Sicherheit lässt sich mit mathematischen Modellrechnungen beziffern. Ebenso lässt sich auch das Risiko eines Unfalls bzw. einer Umweltkatastrophe berechnen. Und da erreichen Kernkraftwerke in der Regel eine gute Position – oder vielmehr eine gute Rendite. Sobald ein AKW abgeschrieben ist, erwirtschaftet es jeden Tag ca. 1 Million Euro Gewinn. Kein Energiekonzern verzichtet freiwillig auf solch einen dicken Batzen Geld. Dazu ist zwar viel und teure Lobbyarbeit notwendig. Aber angesichts der blendenden Renditeaussichten investiert man diese Zusatzausgaben gern.

Zu einer der Hauptaufgaben einer guten Lobbyarbeit gehört, dass man gebetsmühlenartig verbreitet, wie sicher deutsche Atomkraftwerke sind. Sicher, sie sind sicher solange nichts passiert. Doch selbst Versicherungen sind sich beim Risiko nicht sicher. Daher wird jedes AKW nur mit maximal 2,5 Milliarden Euro gegen einen Störfall versichert. Für einen GAU wird aber mit der tausendfachen Summe gerechnet. Ein Atomkraftwerk ist also faktisch unterversichert, weil man die theoretische Schadenshöhe bei einem Unfall nicht errechnen kann. Aber sie sind ja sicher  – wir haben auch die besten Ingenieure dazu.
Ich denke, dies war auch der Grund, warum die Japaner so atomfreundlich eingestellt waren oder es stellenweise immer noch sind. Man vertraut der Technik. Und man vertraut den Aussagen von Politikern sowie irgendwelchen Atomkraftexperten. Tschernobyl war eine bedauernswerte Ausnahme. Zum einen ist es „bei den Russen passiert„; die haben veraltete Technik, niedrige Sicherheitsstandards, schlecht ausgebildetes Personal, usw. Gründe für eine hohe Risikoanalyse finden sich nach einem Unfall immer.
Beim jetzigen GAU im Atomkraftwerk Fukushima wird es mit der Argumentationskette schon etwas problematischer. Die Technik ist prinzipiell auf dem neusten Stand, das Personal ist (sehr) gut ausgebildet und auch gegen sehr starke Erdbeben ist man gewappnet. Doch auch hier finden sich Negativpunkte: eine unzureichende Notstromversorgung, der AKW-Betreiber Tepco, welcher bereits in der Vergangenheit durch Schlamperei aufgefallen sein soll und eine Häufung von einzelnen Naturkatastrophen (Erdbeben und Flut). Doch nochmals: wir haben die sichersten AKW der Welt und das beste Personal.

Bei uns kann so etwas nie passieren. Hieß es früher zumindest immer wieder. Doch mit einem Schlag ist in Deutschland alles anders. Gestern am Dienstag schien es so als wäre bei uns ein stiller Atom-GAU eingetreten. Ohne große Vorwarnung und ohne große Diskussion hat sich die Bundesregierung dazu entschlossen, auf einen Schlag die sieben ältesten Atomkraftwerke vorübergehen still zu legen. Man hat sich ein Moratorium – einen Aufschub – für drei Monate verordnet. In dieser Zeit werden alle AKW überprüft. Vier der Uralt-Meiler werden wohl auch nach diesen drei Monaten nicht mehr ans Netz gehen: Neckarwestheim I (Baden-Württemberg, 1976), Isar I (Bayern, 1977), Biblis A (Hessen, 1974) und Brunsbüttel (Schleswig-Holstein, 1976).

Wie kommt der Knall-auf-Fall-Wechsel? Spricht man die Kanzlerin auf ein perfides Wahlmanöver an, reagiert sie brüskiert. Doch so ganz sind die Vermutungen nicht von der Hand zu weisen. In den nächsten 2 Wochen finden entscheidende Wahlen statt. Am 20. März wird in Sachsen-Anhalt der Landtag gewählt. Am 27. März ist ein kleiner Super-Wahltag: Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wählen ihren neuen Landtag und in Hessen finden am selben Tag Kommunalwahlen statt. Es geht um nicht mehr und nicht weniger, die CDU-Vorherrschaft zu sichern. Für den Machterhalt werden in Krisenzeiten wie diesen auch kurzerhand mal ein paar Atomkraftwerke abgeschalten. Vor 6 Monaten waren diese zwar noch die sichersten der Welt und man hatte eine satte Laufzeitverlängerung beschlossen. Doch was in Japan passiert ist, könnte ansatzweise auch bei uns passieren. Und daher sind die sichersten AKW nun nicht mehr ganz so sicher.

Ich war 12 Jahre alt, als das Unglück in Tschernobyl passierte. Die Nachricht schockierte mich damals zutiefst. Und wie auch jetzt in Japan sickerten nur bruchstückhaft die Informationen durch. Die Gefahren und die Belastungen waren damals für uns real erlebbar. Zeitweise sollte man kein Gemüse mehr essen, draußen spielen war untersagt und der Sand in Sandkästen wurde noch Jahre später stillschweigend entsorgt. Heute wie damals habe ich ein ungutes Gefühl im Bauch, weil die Bevölkerung eh immer nur die halbe Wahrheit erfährt. Welcher absoluten Gefahr wir alle tatsächlich ausgesetzt waren, möchte ich gar nicht wissen. Von diesem Hintergedanken kann ich den gestrigen Schritt zur tweilweisen Stilllegung nur begrüßen. Auch wenn die Entscheidung ein kräftiges ‚Gschmäckle hat, wie der Schwabe sagen würde.

Was der Schwabe allgemein zu diesem Schlingerkurs sagt, zeigt sich am 27. März. Ob der Ministerpräsident Mappus dabei einen Wahl-GAU erlebt, kann derzeit noch nicht sicher berechnet werden. Die Risikofaktoren sind zu ungenau. Mappus hat seine Freikarte für die Ehrlichkeit allerdings schon verspielt. Er, als ständiger Super-Vertreter der Atomkraft, hat das Aus für das AKW Neckarwestheim I bekannt gegeben. Vor ein paar Monaten noch war er aktiv am Rückkauf des Energiekonzern EnBW beteiligt. Das Ländle hatte dafür 4,7 Milliarden Euro ausgegeben. Finanziert werden sollte der Deal durch die Gewinne des Konzerns. Letztes Jahr waren es 1,17 Milliarden Euro. 90 Prozent davon stammen aus der Stromerzeugung und davon rund drei Viertel durch die AKW. Dumm nur, dass seit gestern eine dieser Haupteinnahmequellen von ihm persönlich still gelegt wurde. Das ist schon ein klein bisschen verstrahlt, wenn man mich fragt.

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