„Undercover Boss“ auf RTL als billige Dauerwerbesendung

Gestern Abend um 21:15 Uhr lief auf dem Privatsender RTL die erste Folge der neuen Serie „Undercover Boss„. Ein Firmenboss begibt sich an die Basis seines Unternehmens. Er möchte auf der Stufe des gewöhnlichen Arbeiters den Alltag in seinem Betrieb/Konzern kennen lernen. Damit dies unbefangen möglich ist, tritt der Unternehmenschef inkognito als Hilfsarbeiter auf. Super Idee, denkt man sich. Und auch dass es noch Unternehmen mit so viel Mut und Engagement gibt. Die Wahrheit ist allerdings perfide: es ist die beste Dauerwerbesendung seit Jahren.

RTL kann sich freuen. Die Auftaktsendung sahen knapp 25 Prozent der 14- bis 49-Jährigen. Das macht 3,4 Millionen Fernsehzuschauer, die verblödet wurden von einer inszenierten Doku-Soap, wie es perfider nicht sein könnte. In der Sendung vom Montag begab sich der Geschäftsführer der Eismann-Kette, Mika Ramm, unter seine Angestellten. Er „durfte“ in einer Woche mal erfahren, wie anstrengend es ist, als Lagerist in einem -28°C kalten Lager zu arbeiten. Oder wie viel Herzblut und Engagement ein Eismann-Verkäufer beim Kundenkontakt aufbringen muss. Oder auch welche Ausdauer man bei der Neukundenaquise beweisen sollte. Alles schön verpackte Bilder mit den entsprechenden Aussagen, so wie es die Fernsehmachern gern hören wollten. Da beschwert sich zum Beispiel einer der Arbeiter, dass „die Bleistiftdreher da oben“ mal einen Tag lang diesen harten Knochenjob machen sollten. Der Chef steht dabei gerade (getarnt) neben ihm.

Die Sendung zeigt sich solidarisch in jede Richtung. Der  Chef ist mal eine Woche lang einer wie „Du und ich„. Es wird die hart arbeitende Basis gezeigt. Der Zuschauer erfährt, dass zwar Entscheidungen von oben notwendig sind, die Arbeit aber dennoch an der Front gemacht wird. Und dann ist da noch die Auflösung gegen Ende der Sendung, wenn der Chef seine Maskerade fallen lässt und wieder zum Geschäftsführer wird. Jeder Mitarbeiter, der in dieser Woche mit dem Chef Kontakt hatte, wird in die Unternehmenszentrale zum persönlichen Gespräch geladen. Dort wird erst richtig klar, wieso „Undercover Boss“ eine schleimige Doku-Soap ist.
Beim Rapport erfahren die Mitarbeiter, wer der wissbegierige Hilfsarbeiter neben ihnen wirklich war: ihr eigener Chef. Alle zeigen sich verwundert, manche gar ein bisschen entsetzt. Und dann kommt der große Showdown, bei welchem der Chef sein soziales Herz zeigen kann. Die eine wird zur Teamleiterin befördert, der andere darf beim Aufbau einer Niederlassung in Brasilien helfen und ein anderer bekommt eine Woche Ägyptenurlaub geschenkt. Ach, ist die Arbeitswelt doch gerecht und schön.

Im Ausland wurde das Sendekonzept schon mehrfach gelobt. Nun hat es auch die deutschen Fernsehzuschauer erreicht. Und schlimmer hätte es für die deutsche Fernsehlandschaft nicht mehr kommen können. Auf absolut perfide Art erhält das gezeigte Unternehmen eine Dauerwerbesendung mit einer Nettolaufzeit von 45 Minuten. 45 Minuten unbezahlte Werbung zur besten Sendezeit. Was würde man dafür nicht alles tun? Vielleicht seinen Chef los schicken, der mal fürs Fernsehen ein bisschen an der Basis mitarbeitet? Das Ganze wird noch verpackt mit viel Herz und sozialem Engagement. All diese blumigen Werte, von denen es immer heißt, die wären in unserer heutigen Arbeitswelt nichts mehr wert. Bei „Undercover Boss“ wird damit aufgeräumt. Ein Unternehmen, welches in dieser Sendung seinen Chef zur Arbeit los schickt, bekommt die Sozialkompetenz gratis mit der Werbung dazu.

Bei Spiegel-Online ist man in einer begleitenden Sendekritik geradezu geblendet von der Menschlichkeit dieser Programmidee:
RTL wäre zu wünschen, dass die Testsendung beim Publikum ankommt und das Format fortgesetzt wird […]: Einer von ganz oben steigt herab nach ganz unten, schaut sich die Konsequenzen seiner Entscheidungen an, lernt vielleicht daraus […]. Es dürfte wenige Angestellte geben, die sich das nicht auch für ihr Unternehmen wünschen würden.
Ob „der von ganz oben“ nicht nur vielleicht etwas daraus lernt, steht völlig in den Sternen. Und ehrlich gesagt, interessiert es den Sender gar nicht. Pervers ist die Sendung deshalb, weil alle glauben, in der gezeigten Firma würden sich dadurch die Mitarbeiterbedingungen verbessern. Schön wär’s. Doch spätestens bei dem nächsten Kassensturz sprechen wieder nur die nackten Zahlen.

Der Chef hat sein Badboy-Image los, ein paar Mitarbeiter wurden fernsehwirksam belohnt und oben drein wird der Firmenname während den 45 Minuten nicht nur einmal gezeigt und gesagt. Der Fernsehzuschauer ist gerührt von so viel Menschlichkeit und sozialer Nähe. Eine entsprechende Werbekampagne wäre für das präsentierte Unternehmen teurer und könnte niemals so prominent platziert werden. Und sollte doch mal ein Journalist in ein oder zwei Jahren sich an die Sendung erinnern, so kann sich die Firma in jeder Lage bequem heraus reden. Denn schließlich beeinflusst die marktwirtschaftliche Lage die Entscheidungen der Geschäftsleitung.

Spiegel-Online hatte an einer einzigen Stelle den richtigen Riecher. Als der Firmenboss „seinen Vorstand über den Plan informiert, wirkt es wie aus einem schlechten Agentenfilm entlehnt, vor allem, als der Zurückgekehrte vor versammelt schweigender Runde völlig inhaltsleere Konsequenzen ankündigt.Inhaltsleere Konsequenzen. Vielleicht hätte man diese Feststellung doppelt unterstreichen sollen.

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5 Kommentare

  1. Spätestens nach dem 2. Teil der Serie („Best Western“) hat sich unsere sowieso schon schlechte Meinung über die Dauerwerbesendung bestätigt. Das schlau in Szene gesetzte Product Placement nebst all den super motivierten Mitarbeitern, die trotz magerer Bezahlung und körperlichen Defiziten in selbstloser Aufopferung aufgehen, grenzt schon fast an Körperverletzung.

    Ich schließe mich dem oben angeführen Lead-Text vollständig an. Tolle Werbung (gähn), super Mitarbeiter (nett, bescheiden, Mutta Theresa-Ableger) und sympathisches Unternehmen (au ja, kauf ich alles). Schade. Weil. Nicht. Ehrlich.

  2. In der Tat, eine Dauerwerbesendung im Unterschichtenfernsehen, die nach immer gleichem Schema funktioniert.
    Einführung, Firmendarstellung,Boss vor verdutzter Führungsmannschaft, Führungsmannschaft verdutzt aber begeistert, Boss will es jetzt wissen, Verwandlung vom Prinz zum hässlichen Entlein (Bewerber), Ortswechsel, überaus motivierte und liebenswerte Mitarbeiter, Geigenmusik, Boss macht Fehler, wird von Untergebenen gerügt, die haben ihms aber jetzt gegeben, Steigerung, Ortswechsel 3 und 4, Boss immer einfühlsamer, boh haben wir tolle Mitarbeiter, leider haben die kleine bis mittlere soziale Probleme, kleine Fehler im Unternehmensablauf werden sofort benannt und sollen sofort abgestellt werden, Guter Boss registriert das und dann – Ortswechsel –
    geläuterter Boss, spricht Mängel an, Ergebnis boh was haben wir tolle Mitarbeiter, Führungsmanschaft nickt, passene Hintergrundmusik, die Mitarbeiter werden ankutschiert, oh wie sind die aufgeregt, werden wir jetzt entlassen? keiner hat natürlich den Chef erkannt, Chef besäuselt jeden der Mitarbeiter, anschließend Knuddeln sich alle, Mitarbeiter werden mit kleinen Geschenken belohnt, alle haben sich jetzt lieb.
    Und wenn sie nicht gestorben sind, dann machen sich alle weiterhin was vor.

  3. Wurden wohl alle Staffeln vor Beginn der ersten Ausstrahlung gedreht…? Ansonsten sollten spätestens nach der ersten Ausstrahlung jeder Depp wissen, wenn ein ungepflegter Praktikant mit Kamerateam für einen Tag anreist, daß es sich um unseren „Undercover Boss“ handelt.
    Gibt es das wirklich…. eine Praktikumsstelle für einen Tag? Wie will man da den Praktikanten beurteilen? Wie will der Praktikant beurteilen, ob es das ist, was er künftig berufl. ausüben möchte oder auch nicht.
    Es ist doch sehr verwunderlich, das von den Festbeschäftigten nicht einer Kritik an der Geschäftsführung übt. Klar, ein paar Kleinigkeiten gibt’s immer zu nörgeln, aber die nimmt man doch gern in Kauf, hat man doch den Traumjob in diesem Unternehmen.
    Zum Finale… die Mitarbeiter werden zum Boss gerufen. Gedenken wie „was hab ich wohl falsch gemacht? Werde ich jetzt wohl entlassen….?“ Klaro bei einem Unternehmen von mehreren 100 oder gar 1.000 Arbeitnehmern läßt der Chef die Mitarbeiter von jwd anreisen um ihnen die Entlassungspapiere persönlich in die Hand zu drücken.
    Pffff!

    1. Hallo Bernd.
      Da hatte jemand aber „reichlich“ Spaß beim Betrachten der Sendung. 🙂

      Ich denke, dass die neue Staffel relativ zeitnah gedreht wurde. Es lässt sich auch relativ einfach erklären, wieso die Angestellten nicht kapieren, dass es sich um Undercouver-Boss handelt. Es kommt stark darauf an, wie die Angestellten vor der Aufnahme gebrievt werden. Man kann denen beispielsweise erzählen, dass man eine „bunte“ Geschichte über das Unternehmen drehen will und dass da gleich jemand kommt, der so tut als wäre er für einen Tag lang ein Praktikant.
      Man muss sich nur einmal die Reaktionen der Angestellten etwas genauer anschauen. Das wirkt stellenweise sehr aufgesetzt. Man könnte auch provokativ sagen: schlecht geschauspielert.

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