Thierse’s Schrippen und ein bisschen Rassismus

Um es vorweg zu nehmen: ich bin geborener Schwabe. Ein echtes Original. Doch ich lebe seit nunmehr 15 Jahren in Berlin bzw. im Umland der Metropole. Ich kenne sowohl die schwäbische Mentalität als auch die preußischen Tugenden. Wolfgang Thierse, 69 Jahre alt, polterte vor wenigen Tagen mit hanebüchenen Äußerungen durch die Presse. Es heiße „Schrippe“ und nicht „Weckle“ und die Kehrwoche wäre nur die Spitze der schwäbischen Belagerung. Ein in Breslau geborener und im Osten aufgewachsener Zausel lästert über eine deutsche Volksgruppe, welche er wohl nur aus dem Fernsehen kennt. Ein grotesker Einblick in real existierenden Rassismus.

Deutsche stänkern gegen Griechen. Türken hassen die Araber. Bayern schimpfen auf Norddeutsche. Und Ruhrpotter hauen auf die Sachsen ein. Die Feindbilder sind so auswechselbar wie beliebig. Doch Herr Thierse musste sich unbedingt mit der zweitgrößten ethnischen Minderheit in Berlin anlegen: den Schwaben. Ca. 200.000 davon leben derzeit in der Hauptstadt. Offenbar lässt sich mit keiner anderen Minderheit so wunderbares Volks-Bashing betreiben.

Die Schwaben sind der Sündenbock für steigende Mieten und die neue Spießigkeit. Aus der Stichwortkiste mit den Vorurteilen heißt es, Schwaben seien wohlhabend und geizig. Und natürlich können sie kein Hochdeutsch. Da dürfen sich die Berliner allerdings auch nicht weit aus den(!) Fenster lehnen. Fremddialekte empfindet der Berliner schnell als „störend“, oder sagen wir zumindest als befremdlich. Zudem ist das Schwäbische ein sehr ausgeprägter Dialekt. Ein hervorragendes Erkennungsmerkmal also, um spontan die Krallen auszufahren und die Giftzähne zu fletschen. Die Vorurteile sind bereits gefällt, bevor man sich kennen gelernt hat.

Die Presse ist ganz außer sich. Es werden spezielle schwäbische Ecken in Berlin aufgesucht. Es werden Berliner gefragt, was sie von den Schwaben halten. Und es werden Schwaben interviewt, was sie von den Äußerungen Thierses halten. Es werden Fotostrecken zusammen gestellt, um typisch berlinerische und schwäbische Begriffe ins Bild zu rücken. Von der Schrippe angefangen bis hin zu den Spätzle. Dabei wird so manches übersehen. Die „Boulette“ kommt von den Hugenotten und eine Schrippe wird mit einem anderen Teig gemacht als ein Weckle. Dies nur nebenbei.

Die wichtigste Erkenntnis aus dieser aufgeblasenen Schwaben-Diskussion: der Rassismus ist allgegenwärtig. Von der freundlichen Abneigung auf den Hausnachbarn bis hin zum gewalttätigen Rassenhass. Zum Teil brauchen wir die kleinen Feindbilder, um vom eigenen Versagen oder persönlichen Frust abzulenken. In den allermeisten Fällen ist Hass auf einen anderen Menschen jedoch dümmlich und egoistisch. Dem Berliner hilft es dabei nicht, dass Friedrich II. einmal folgenden Satz prägte: „Jeder soll nach seiner Façon selig werden.

Herr Thierse beschwert sich über die vielen Zugezogenen in seinem Kiez und es wird eine Grundsatzdiskussion daraus, dass die Schwaben wegen ihrem ungezügelten Reichtum für steigende Mieten sorgen. In all den angehängten Diskussionen kommt die Frage nach dem innerdeutschen Rassismus viel zu kurz. Man muss kein Freund der Schwaben sein. Doch seine (neuen) Nachbarn als Belästigung statt als Bereicherung zu sehen, zeugt von reichlich Fremdenfeindlichkeit. Und fremd ist dabei jeder, der nicht den selben Dialekt spricht und nicht mindestens 5 Jahre seinen festen Wohnsitz im Kiez vorweisen kann.

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