Gentrifizierung auf Berlinerisch: Luxusprobleme auf allen Seiten

Es herrschen Luxusprobleme auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Die einen haben Geld und wollen es in Immobilien investieren. Die anderen haben wenig bis gar kein Geld und wollen ihren Freiraum mitten in der Stadt erhalten. Sachliche Auseinandersetzungen finden zwischen solch unterschiedlichen Lagern nicht statt. Die Diskussionen sind vergiftet von Vorurteilen, purem Egoismus und einer teilweise verträumten Realität.

Die Berliner Mentalität ist seit Jahrzehnten geprägt von Transferleistungen und ebenso ist das Stadtbild geprägt von der ehemaligen Mauer. Es gibt heute noch viele zentrumsnahe Gebiete, welche wie eine wilde Einöde daher kommen. Kurz vor Kriegsende schwer von Bomben getroffen, später wegen der Nähe zum Grenzstreifen als Sperrzone deklariert und nach dem Ende der Teilung lange Zeit vergessen. Der Bauboom der späten 90er konzentrierte sich zuerst auf die lukrativen Ecken wie den Potsdamer Platz, Pariser Platz, das Regierungsviertel oder die Friedrichstraße.

23 Jahre nach der Wiedervereinigung erinnern manche Straßenzüge immer noch an eine untergegangene DDR. Kann sich eine Metropole wie Berlin langfristig den Luxus leisten, dass in Zentrumsnähe große Flächen unbebaut bleiben, nur damit wenige Aussteiger bzw. Personen mit einer differenzierten Lebenseinstellung ihren nötigen Freiraum behalten? Die Bilderreihe zeigt die Köpenicker Straße von der Kreuzung Engeldamm (Verdi Landeszentrale) bis zur Michaelkirchstraße (Heizkraftwerk).

Eine Gruppe von alternativ lebenden Menschen beansprucht den Luxus für sich, in stadtnaher Lage große Flächen für Wagenburgen und das Kulturzentrum „Köpi“ zu nutzen. Dazu ergeben sich Parallelen zu einer anonymen Initiative, welche sich stark macht gegen die bevölkerungsfeindliche Luxussanierung der nördlichen Luisenstadt. Die Betreiber von LUISE (Lebensnahe Und Integrative Stadt Entwickeln) veröffentlichen ihre selbsterdachten Horrorszenarien. Es ist die Rede davon, dass die Köpenicker Straße zur Flanier- und Partymeile umgestaltet werden soll. Es wird das Beispiel einer fehlgeschlagenen Stadtplanung im Bereich der Friedrichstraße genannt oder schlichtweg, dass in den nächsten 15 Jahren die Zahl der Anwohner sich verdoppeln soll.

Weitaus weniger polemisch berichten die Mitglieder des Bürgervereins Luisenstadt e.V. Der Bürgerverein sieht die Umgestaltung des Gebietes als notwendige Maßnahme und fordert den Dialog mit allen Anwohnern. Eine Verdichtung des Wohnangebotes erkennt man als spezifischen sozioökonomischen Umstrukturierungsprozess in städtischen Wohngebieten. Zentrumsnahe Wohnungen sind attraktiv. Auch ist es per se nicht verwerflich, wenn Investoren die Chancen für eine Bebauung nutzen und Mieter die stadtnahe Lage bevorzugen.

Am 28. Februar ist ein wichtiger Termin. Die Zwangsversteigerung der Köpenicker Straße 133 (Wagenburgsiedlung) steht auf dem Plan des Amtsgerichts Mitte. An diesem Tag fällt die Entscheidung für alternatives Wohnen oder Luxusapartment. Es geht darum, welche Personengruppe den Zuschlag für ihren privaten Luxus bekommt. Landromantik für ein paar wenige oder Stadtwohnungen für viele. Um nichts anderes geht es bei der Gentrifizierung der Köpenicker Straße.

Berlin liegt bei den Mietpreisen immer noch im unteren Drittel. In Berlin kostet der Quadratmeter im Schnitt 7,50 Euro. In Hamburg sind es 10,50 Euro und in München gar 12,50 Euro. Geringfügig günstiger als Berlin ist nur noch die „Weltmetropole“ Essen. Was die Bewohner freuen sollte, ist für die Stadt ein finanzieller Albtraum. In Berlin beziehen 25 Prozent der Bevölkerung Transferleistungen wie Hartz-IV, Sozialhilfe, Wohngeld, Frührente oder auch Sachaufwendungen in Form von Lebensmittelspenden. Die Stadt hat ein Problem mit dem Arbeitsmarkt und damit auch mit den Sozialausgaben.

Klaus Wowereit prägte einst den Satz „Berlin ist arm aber sexy.“ Doch Armut ist nicht sexy. Eine arme Stadt ist handlungsunfähig. Die Anwohner der Köpenicker Straße sollten sich erfreuen, dass dieser Bereich (endlich) zum Sanierungsgebiet erklärt wird. Konsum, Kommerz und Kapitalismus mögen für manche wie ein rotes Tuch wirken. Doch ohne diese drei K’s müssten wir alle in Wagenburgen wohnen, mit Holz heizen und unser Essen aus der Spree fischen. „Haste mal nen Euro“ funktioniert nur bei Personen, welche einen Euro abgeben können.

Die schweizerische Neue Züricher Zeitung hat es mit einem Artikel treffend auf den Punkt gebracht. Der Berliner ist Weltläufig und provinziell:

Es gibt keinerlei von den pseudoalternativen Kiezen in die «Think-Tanks» der Republik hinein diffundierende Botschaft, nach welcher die Berliner Wachstums- und Strukturschwäche antikapitalistische Subversion sei und als Antwort auf die entfesselte Globalisierung zu begreifen wäre.

Da die Autonomen den Kampf noch nicht als verloren betrachten, wurde gestern abermals lautstark gegen die Gentrifizierung des Kiezes demonstriert. Man kann den Kapitalismus nicht mit Demos bekämpfen. Es hilft nur der Kompromiss. Doch dazu ist wohl keine der Parteien bereit.

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3 Kommentare

  1. Mir kommt die Kritik des Autors an der Haltung der Köpi-Freunde recht vermessen vor.

    1. Zunächst wohnen auch in der Köpi rund 30 Leute und weitere 30 auf dem Wagenplatz. Wenn man überlegt, wieviel Wohnraum geschaffen würde, muss man auch die Frage stellen, wieviel mehr dies auf diesen beiden Grundstücken wäre.

    2. Befinden sich in der Köpi ungefähr fünf verschiedene (sub-)kulturelle Räume, in denen regelmäßig gut besuchte Veranstaltungen stattfinden. Die Köpi hat in einem gewissen musikalischen Kreis – man kann das durchaus so sagen – einen Ruf von Weltrang. Und Punk-Musik wird wohl kaum ländlich sein.

    3. Wenn man sich anschaut, was in dieser Gegend an Wohnbauvorhaben geplant wurde und wird, dann sind diese in der Mehrzahl dem teuren Marktsegment zuzuordnen. Die Erfahrung zeigt: Je teurer, desto höher ist auch der Pro-Kopf-Verbrauch an Wohnfläche. Im Segment der echten Luxuswohnungen handelt es sich sogar oft um Zweit- oder Drittwohnungen von reichen Leuten, die sich nur gelegentlich in Berlin aufhalten. Ob derlei Wohnungen das Berliner Wohnungsproblem lösen können?

    4. Ja, die Frage wäre: Wie könnte bezahlbarer Wohnraum entstehen. Der Senat ist zwar seit 14 Monaten am Ruder, doch Fördertöpfe für günstigen Wohnraum sind noch nicht mal in Sicht. Sollen wir die Grundstücke schon davor verschleudern und mit Wohnraum zupflastern, den sich nur wenige leisten können?

    5. Tatsächlich wurde heute nur eines der beiden zur Versteigerung stehenden Grundstücke verkauft, und so, wie es scheint, von einem Strohmann des bisherigen Eigentümers. Die Nachfrage scheint also nicht gerade hoch zu sein. An der Demo und der heutigen Demo dürfte es wohl kaum gelegen haben, denn beide waren weder umwerfend noch dürften sie erschreckend für potenzielle Investoren gewesen sein. Wenn also die Nachfrage nach den Grundstücken so gering ist, sind daran die Köpi-Fans schuld? Oder sind die Segmente des gehobenen bis luxuriösen Wohnungsbaus – die einzigen die derzeit von privaten Investoren bedient werden – einfach in einer post-industriellen Brachflächenlandschaft einfach nicht umsetzbar? (Erinnert sei an das pleite gegangene Wohnbungsbauvorhaben auf der anderen Seite der Köpi.)

    6. Wenn man sich die Köpenicker Straße in ihrem Verlauf von der Heinrich-Heine-Straße bis kurz vors Schlesische Tor anschaut – sind die Köpi- und Wagenplatz-Freunde für das städtebauliche Erscheinungsbild und die zurückhaltende Entwicklungsdynamik verantwortlich zu zeichnen? Das Konzept Mediaspree ist ja auch nicht am Protest gescheitert, sondern an der mangelnden Marktgängigkeit der geplanten Bauvorhaben.

  2. @DJ Tüddel

    Ja, ich bin eventuell leicht vermessen, weil ich auch kapitalistische Züge in mir trage. Ich sage mir: von alternativ lebenden Menschen mit einer alternativen Lebensweise kann sich eine Großstadt wie Berlin nicht „ernähren“.

    Eine Stadt wie Berlin benötigt viel Geld. Für die Infrastruktur, für kulturelle Einrichtungen, für gemeinnützige Einrichtungen, Schulen, Krankenhäuser, usw. Dieses Geld kann nur von Menschen kommen, die selber genügend Geld haben bzw. welches verdienen.

    Die Köpenicker Straße hat durchaus eine Aufwertung verdient. Viele Gebäude stehen unerklärlicherweise leer bzw. vergammeln. Die Investoren sollte man nicht grundsätzlich als „böse“ oder die „kapitalistische Pest“ bezeichnen. Auch steht nirgendwo geschrieben, dass die Köpenicker Straße zu einer Party- und Flaniermeile umgebaut werden soll. Da werden von einer paar Wenigen wilde Untergangsszenarien an die Wand gemalt. Nach dem Motto: unser Reich. Klingt für mich eher nach einer Besatzungsmacht oder purer Willkür.

    Was ich an der Diskussion um die Wagenburg oder die Köpi nicht ganz verstehe, wieso ein ganzes Quartier in kapitalistische Zwangsgeiselhaft genommen wird. Es geht doch nicht wirklich nur um das Kulturzentrum „Köpi“ und die Wagenburg. Oder? Ca. 200.000 qm werden zur Anti-Gentrifizierungszone erklärt. Und ja ich bleibe bei meiner grundsätzlichen Aussage: das sind Luxusprobleme von ein paar wenigen.

  3. Oh da ging was schief beim voran gegangenen Kommentar. Grummel.

    „von alternativ lebenden Menschen mit einer alternativen Lebensweise kann sich eine Großstadt wie Berlin nicht “ernähren”.“

    Da irren sie so gewaltig, wie ihre verpuffende Kritik. Berlin lebt von Orten wie die Köpi – genau diese Orte spülen große Mengen Gelder in die Stadt. Die Köpi gehört zur Berliner Kulturlandschaft, wie andere Einrichtungen auch. Gleichzeitig bietet sie Wohnraum. Die Köpi können sie nicht einfach als einen Ort betrachten, der keinen Wert hat. Das ganze ist weitaus komplexer und vielschichtiger. Und darin erkennt man dann erst den Wert dieses Ortes.

    Sie denken einfach nicht über den Tellerrand und zu beschränkt. Was meinen sie, warum Millionen Berlin besuchen? Genau weil die Stadt zum Glück noch immer so viel zu bieten hat. Die Köpi reiht sich in das Gesamtwerk Berlin nahtlos ein. Die Köpi verkörpert eine Seite von Berlin. Und Berlin hat mehrere und viele Seiten. Wozu diese und jene Seite – wozu die vielen Seiten zerschlagen und schließen?

    „Eine Stadt wie Berlin benötigt viel Geld.“

    Ja Kohle, Kohle. Und sie meinen, ihre Vorurteile und die Schließung von Orten, sowie die Schließung einer Wohneinheit bringt Geld für die Stadt? Wie naiv sind sie?

    Woher wissen sie, wer genau von den Bewohnern von Transferleistungen lebt? Es bleibt ein Vorurteil, das linksalternative Projekte von Schnorrern unterhalten werden. Das Gegegnteil ist oft der Fall. Viele haben sogar gutes Einkommen, wollen aber eben nicht so leben wie sie z.B.

    „Die Köpenicker Straße hat durchaus eine Aufwertung verdient.“

    Wieso? Weil sie das glauben, aber nicht wissen?

    „Viele Gebäude stehen unerklärlicherweise leer“

    Aha und welche? Waren sie mal dort vor Ort? Außer der Bauruine, sind in der Straße alle Gebäude so gut wie vermietet und in Benutzung. Und die Köpenicker ist lang – ich weiß also nicht, wieso bei ihnen die Köpi und das Gelände nebenan nun der Mittelpunkt darstellen soll.

    „Was ich an der Diskussion um die Wagenburg oder die Köpi nicht ganz verstehe, wieso ein ganzes Quartier in kapitalistische Zwangsgeiselhaft genommen wird.“

    Weil sie das ganze Thema nicht verstehen wollen oder können. Es hat nichts mit dem Projekt dort zu tun oder mit den Realitäten vor Ort, sondern ganz allein mit ihnen allein.

    „Es geht doch nicht wirklich nur um das Kulturzentrum “Köpi” und die Wagenburg. Oder?“

    In diesem Falle schon. Weltweit gibt es kein vergleichbares Objekt wie die Köpi.

    „Und ja ich bleibe bei meiner grundsätzlichen Aussage: das sind Luxusprobleme von ein paar wenigen.“

    Und eine Minderheit und auch die gehört in einem demokratischen Rechtsstaat entsprechend geschützt – insbesondere wenn es um alternative Lebensformen geht.

    Kommentare wie die ihnen zeigen nur die Ignoranz einiger Personen, die ausschließlich von sich auf andere schließen können. Es fehlt an Empathie, Mitgefühl, Solidarität und Weitsicht. Man glaubt tatsächlich, man selbst sei der Nabel der Welt und alle müssten sich dem Diktat des jenigen Autors unterwerfen, weil er glaubt, er hätte die ultimative Formel des Lebens, der Lebensplanung und des Wohnens inne.

    Ich wohne übrigens in keinem linksalternativen Wohnprojekt und war in meiner Sturm- und Drangzeit häufig auch in der Köpi. Nun fast gar nicht mehr. Vielleicht bin ich auch alt geworden. Aber deswegen ändere ich nicht meine Sicht auf die Dinge und Berlin selbst. Ich habe keine Lust auf das Spießertum, so wie sie es gerne hätten – indem man von „ernähren“ schreibt oder von eigenen „kapitalistischen Zügen“. Ich war selbst Selbstständig und Inhaber zweier Unternehmen. Wahrscheinlich weiß ich weit mehr vom Kapitalismus, als sie glauben mögen.

    Danke.

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