Auch wenn es im Rest der Republik nicht so bekannt ist: Berlin hat seit einigen Wochen seinen ganz eigenen NSU-Skandal. Neonazis, Vertuschung und die Vernichtung von Akten. In der Mitte der Vorwürfe steht Frank Henkel, seit 2008 Vorsitzender des CDU-Landesverbands und seit Dezember 2011 Innensenator von Berlin.Wie es sich für einen gestandenen Politiker gehört, ist jetzt kräftiges Aussitzen angesagt. Er klebt am Amtssessel förmlich fest. Zudem zieht er die Missgeschicke aber auch förmlich an. Doch Schuld haben wie immer die anderen.
Eine der Beteiligten aus der NSU-Zelle ist die 1975 geborene Beate Zschäpe aus Jena. Gegen Sie wurde vor wenigen Tagen von der Bundesanwaltschaft Anklage wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung erhoben. Eben diese Beate Zschäpe war mit Thomas S. befreundet. Fatal an dieser Liebesbeziehung: Thomas S. hat mehr als zehn Jahre (2002 bis 2011) lang für das Berliner Landeskriminalamt als V-Mann gearbeitet.
Und hier schließt sich der Kreis zu Frank Henkel. Im Juni 2012 kamen die meisten Erkenntnisse über die NSU-Terrorzelle ans Tageslicht. Im Höhepunkt der Aufklärung werden beim Berliner Verfassungsschutzes 57 Aktenordnern zerschreddert. Ein einberufenes Ermittlungsgremium kam zu dem Ergebnis, dass es sich offenbar um einen „Hörfehler“ oder einem Fall von „Gedächtnisschwund“ handeln soll.
2009 waren die Akten mit einem „L“ für die Archivierung in einem Raum abgestellt worden, wo auch Akten mit einem „X“ lagern. L für Lagerung, X für Vernichtung. Nun hat Herr Henkel nicht persönlich diese wichtigen Akten vernichtet, es fällt jedoch unter sein Hoheitsgebiet. Am 1. Oktober wurde die Innenverwaltung über die verlorenen Akten informiert. Zwei Wochen später erst hat der Vorfall Herr Henkel erreicht. Der beteuert, erschüttert gewesen zu sein. Für personelle Konsequenzen sei es jedoch noch zu früh.
Herr Henkel ist in Erklärungsnot. Zudem wirken seine Aussagen ausgedacht. Der Ermittlungsausschuss wollte von Herr Henkel wissen, ob Frau Claudia Schmid, Chefin beim Berliner Verfassungsschutz, ihm am 15 . Oktober auch darüber informiert habe, dass es sich bei den Akten um Rechtsextremismus-Unterlagen gehandelt habe. Seine Antwort: „Das entzieht sich meiner Erinnerung.“ Dies erinnert mich unweigerlich an die drei Affen: ich sehe nichts, ich höre nichts, ich sage nichts. Es klebst sich so schön am Beamtenstuhl.
Nebenbei gibt es noch auf einem anderen Feld derbe Kritik an Herrn Henkel. Es geht um das Besetzungsverfahren für das Amt des Polizeipräsidenten. Seit Juni 2011 leitet Margarete Koppers dieses Amt kommissarisch. Eigentlich gibt es an ihrer Arbeit nichts auszusetzen. Doch nun soll der Posten an Herrn Klaus Kandt gehen, ein enger Parteifreund von Frank Henkel. Frau Koppers sagt dazu selbst: „Ich bin von der Vorgängerregierung eingestellt worden und ich bin kein Parteimitglied. […] Das Misstrauen mir gegenüber ist deshalb groß.“
Es ist geradezu abenteuerlich, welch schmutzige Politik derzeit in Berlin veranstaltet wird. Klaus Wowereit hampelt angeschlagen wegen der Verzögerungen und Schlampereien beim Flughafen BER durch die Gegend. Konsequenzen? Denkste! Nun gesellt sich auch noch Frank Henkel, zweitwichtigster Mann in Berlin, dazu. Auch er arbeitet unbeirrt weiter, so als ob nichts Entscheidendes passiert wäre. Zumindest bei den Umfragewerten spiegelt sich Misstrauen aus.