Populismus mit Populismus bekämpfen?

Früher war ich mal ein begeisteter Leser der NachDenkSeiten. Die „kritische Website“ entwickelt sich in letzter Zeit allerdings in ein rein populistisches Instrument, in dem alles nieder geredet wird, was von den Politikern in Berlin so beschlossen wird bzw. was eventuell bald beschlossen werden soll. Zuletzt erschien der Beitrag „Gängelung der Armen“ von Prof. Dr. Christoph Butterwegge (Politikwissenschaftler an der Universität zu Köln). Es geht in dem Artikel um den neuen Bildungspass, welche unsere Bundesfamilienministerin Arbeitsministerin Ursula von der Leyen demnächst einführen möchte.

Im entsprechenden Artikel wird erst einmal damit aufgeräumt, dass es wohl nur wenige sozial schwache Familien sind, bei denen das Kindergeld sprichwörtlich versoffen wird. Nach der Ansicht von Herrn Butterwegge ist der Anteil der ordentlichen Familienverhältnisse weitaus größer. Es gäbe zwar hier und da die Auffassung, dass eine Erhöhung des Kindergeldes zuerst in die Anschaffung neuer Unterhaltungselektronik (bspw. Flatscreen) fließen würde. Doch dies wären nur die Ausnahmen. Nun, wenn dem so wäre, wie ist es dann möglich, dass Media-Markt und Saturn so fantastische Umsätze machen? Dort kauft sicherlich nur die arbeitende Bevölkerung ein.
Wenn ich die Augen verschließe, um mir die perfekte Welt vorzustellen, dann gäbe es keine reichen Schnösel und keine bitterarmen Schlucker. Dann gäbe es auch keine Schwarz-Weiß-Malerei. Doch da es eine solche Welt nicht gibt, muss ich sie kritisch betrachten. Zu einer wachsamen Betrachtung gehört allerdings nicht, dass ich ein vorhandenes Feindbild (der trinkende Hartz-IV-Empfänger) mit einem ebenso einseitigen Gegenbeispiel (alles nur Ausnahmen) „bekämpfe“.

Herrn Butterwegge ist die Bildungscard bzw. der Bildungspass so oder so ein Dorn im Auge. Seiner Auffassung nach werden Hartz-IV-Empfänger dadurch erheblich diskriminiert. Denn wenn ein Sozialhilfeempfänger mit diesem Bildungspass eine Eintrittskarte fürs Freibad oder fürs Theater kauft, müsste er dabei gleichzeitig Farbe bekennen, dass er ein Hartz-IV’ler ist. Das ist in der Sachlage richtig. Jedoch blendet Herr Butterwegge gekonnt die bereits vorhandene Situation aus. Was ist beim Kauf von Fahrkarten für den Öffentlichen-Nahverkehr (Sozialticket)? Was ist beim Erwerb von sogenannten Stadtpässen wie dem Berlinpass? Die gibt es auch nur, wenn man sich hochoffiziell als Sozialhilfeempfänger outet.
Ich denke, ein Hartz-IV-Empfänger hat weitaus weniger Probleme damit, einen gesonderten Pass an der Kasse vorzuzeigen, als ständig wegen jeglicher Bewilligung zum Jobcenter gehen zu müssen. Und seien wir mal ehrlich: einem Sozialhilfeempfänger ist es bewusst, dass er zur Unterschicht gehört. Zudem ist er/sie damit nicht alleine. Millionen anderen ergeht es ebenso. Und es wird auch sicherlich keiner blöd angeschaut, wenn er seine Eintrittskarte mit dem Bildungspass bezahlen würde. Schwerbehinderte leben auch mit dem Manko, dass sie Vergünstigungen nur dann erhalten, wenn sie an der Kasse den Behindertenausweis zeigen. Werden sie deshalb schlechter behandelt? Oder fühlen sich Behinderte damit automatisch als Menschen zweiter Ordnung? In Stuttgart gibt es übrigens ein vergleichbares Modell zum Bildungspass schon seit einiger Zeit. Und offensichtlich stört sich niemand daran, dass viele sich damit als Hartz-IV-Empfänger zu erkennen geben (müssen).

Herr Butterwegge spannt den Bogen bis zur genommenen Wahlfreiheit, welche durch den Bildungspass entstehen würde. Er zeigt das Beispiel einer alleinerziehenden Mutter, welche am 20. des Monats kein warmes Essen mehr auf den Tisch bringt, weil das Geld nicht mehr für Lebensmittel reicht oder der Strom abgestellt wird. Und genau dieses Beispiel zeigt, wie einseitig gegen den Bildungspass vorgegangen wird. Eigentlich möchte man der populistischen Berichterstattung die Stirn bieten. Die NachDenkSeiten sollen kritisch wirken und zum Nachdenken anregen. Statt dessen wird mit den selben primitiven Waffen gekämpft, wie es unsere Politiker tagtäglich zum Besten geben.
Was soll dieses Beispiel mit der Mutter? Ihr wird die Wahlfreiheit genommen, dass sie den Kindergeldaufschlag nicht für die Stromrechnung oder für Essenskäufe verwenden kann? Dieses fiktive Beispiel ist ehrlicher und moralischer als der trinkende und rauchende Vater, der alleine für die Suchtbefriedung monatlich über 200 Euro ausgibt?

Auch den eigentlichen Empfängern des Bildungspasses – den Kindern und Jugendlichen – wird angeblich die Wahlfreiheit genommen. Statt eines Bildungspasses sollte man eher das Schulsystem verbessern, so Herr Butterwegge. Gerade für bildungsschwache Kinder und jene mit Migrationshintergrund wäre eine Ganztagsschule genau das Richtige. Ich kann das Wort Ganztagsschule nicht mehr hören. Von morgens bis spät Nachmittags sitzen unsere Kinder in der Schule. Keine Zeit mehr, draußen zu toben und zu spielen; keine Zeit mehr für „unsinnige“ Unternehmungen wie Hütten bauen oder ähnliches; keine Zeit mehr für Abhängen und einfach nur die freie Zeit genießen. Bevor die Jugendlichen nur noch Graffitis an die Wand schmieren, andere Leute nieder stechen oder Drogen verkaufen, sollen lieber alle in der Schule ihre Zeit absitzen. Wenn das mal (auf Dauer) der richtige Weg ist.

Zu guter Letzt noch ein Zitat aus dem Artikel auf NachDenkSeiten:

Mit der Würde des Menschen, die unsere Verfassung in Art. 1 GG zum obersten Wert erklärt, ist ein Gutscheinsystem genauso wenig vereinbar wie der Zwang, betteln zu gehen.

Howdy! Ich bin kein Jurist, aber soweit wie Herr Butterwegge würde ich mich nie aus dem Fenster lehnen. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Ja, so steht es im ersten Artikel unseres Grundgesetzes. Doch ein Sozialhilfetransfer ist eine – relativ gesehen – freiwillige Leistung. Man kann sie annehmen oder man lässt es sein. Daraus nun den Umkehrschluss zu ziehen, dass ein Gutscheinsystem für Sozialhilfeempfänger deren Menschenwürde verletzten würde, ist schon sehr mutig oder banal; wie man es sehen möchte. Das mit dem Bettelzwang lasse ich am besten unkommentiert.

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