Rettet die Schreibschrift! Wozu?

Die Befürworter bzw. Retter sehen einen Verfall der Individualität. Angeblich geht mit dem Wegfall der Schreibschrift auch eine gehörige Portion Persönlichkeit verloren. Aus der Handschrift kann man eben viel Persönliches heraus lesen. Das ist so wie mit den Handlinien.

So oder so ähnlich müssen wohl die Menschen Anfang des 20. Jahrhunderts argumentiert haben, als sich plötzlich das Telefon durchgesetzt hat. Der persönliche Augenkontakt war nicht mehr nötig, um sich etwas sagen zu können. Die Mimik und Gestik blieb auf der Strecke. Alle Gefühlswallungen mussten durch gesprochene Worte oder durch entsprechende Laute ersetzt werden. Auf der anderen Seite führte der Verlust des bildlichen Gegenübers zu einer Schärfung des Gehörsinnes.

Wie haben die Menschen eigentlich bei der Einführung des Buchdruckes argumentiert? Für viele war es wohl ein technischer Segen und für ebenso viele ein Fluch. Der Verlust des geschriebenen Wortes machte sicherlich bereits damals die Runde. Rückblickend haben wir wohl keinen ernsthaften Schwund erlitten. Oder würden Sie sich handschriftlich geschriebene Bücher wünschen? Im Normalfall wohl eher nicht – allerhöchstens als sehr individuelles Geschenk.

Woher kommt die Notwendigkeit zur Schreibschrift? Wenn man zurück blickt ins Zeitalter von Tinte und Feder, wird einem ganz schnell bewusst, dass die Schreibschrift bei Benutzung dieser Utensilien die beste Alternative war. Wer versuchte, mit einer Feder Druckbuchstaben zu kritzeln, wurde schnell eines besseren belehrt. Doch wer nutzt heute noch Tinte und Feder? In der Schule wird dieses Schreibwerkzeug immer noch als Muss angesehen, so als ob der technische Fortschritt der letzten 50 Jahre niemals statt gefunden hätte.

Zu meiner Schulzeit hieß es noch, dass der Kugelschreiber die Handschrift versaut. Wenn man bei der Handschrift von der Schönschrift ausgeht, dann mag diese These zutreffen. Hätte ich allerdings meine ersten Schritte mit einem Kugelschreiber machen dürfen, würde ich glatt davon ausgehen, dass ich heute um einiges leserlicher mit diesem „neumodischen“ Schreibutensil umgehen würde.
Ich fasse heute äußerst ungern noch einen Füller an. Zum einen neigt er fortwährend zum Vertrocknen, zum anderen lässt sich mit ihm nur halb so schnell wie mit einem Kuli schreiben. Und schöner sieht das Gegrakel damit auch nicht aus. Also zu was sich unnötig quälen?

Kommen wir zurück zur Forderung nach der Rettung der Schreibschrift. Heute wird größtenteils nur noch getippt; entweder in der Kurzversion als 160-Zeichen-SMS oder etwas ausführlicher auf der Tastatur des Computers. Texte werden in der heutigen Zeit idealerweise in digitaler Form erfasst, weil es schlicht und einfach Vorteile mit sich bringt. Digitale Texte lassen sich weiterverarbeiten, durchsuchen und effizienter archivieren.

Selbst für den Ausdruck der Gefühle hat sich zwischenzeitlich eine technische Möglichkeit gefunden. Die Lösung lautet Emoticons; der bekannteste davon ist der Smiley. Junge Leute „pflastern“ ihre Texte mit den unterschiedlichsten Emoticons. Bringen sie damit weniger Persönlichkeit zum Ausdruck als durch einen handschriftlich verfassten Text? Ich denke nicht. Es ist wohl eher ein grundsätzliches Problem, wie gekonnt ein Mensch die Sprache verwendet. Welche Wörter und Redewendungen kennt er? Wie steht es mit der Rechtschreibung und wie mit den Höflichkeitsfloskeln? All dies ist keine Frage der Schreibart sondern der Allgemeinbildung.

Wo liegt also der Sinn bei einer Rettung der Schreibschrift? Geht es nur nach dem schwammigen Motto „das Gestrige muss erhalten bleiben“? Oder ist es manchem Oberstudienrat ein Grauen, wenn er überall nur noch tippende Menschen sieht? Müssen wir uns alle wieder einen Füllfederhalter kaufen, weil die Tintenindustrie zu wenig Umsatz macht? Werden wir wieder dazu verdammt, bergeweise Papier zu vernichten, nur weil wir uns mitten im Text verschrieben haben und der Tintenkiller eine Doppelkorrektur nicht zulässt? Ist es sinnvoll, den technischen Fortschritt zurück zu drehen, nur um unseren Worten mehr Persönlichkeit zu verleihen?
Ich finde Menschen nicht rückständig, welche ihre Texte per Hand aufs Papier bringen. Für die allermeisten Fälle in unserem Alltagsleben ist es jedoch vergebene Liebesmüh, weil der Text in digitaler Form benötigt wird.

Was haben wir davon, wenn wir heute unseren Kindern noch die Schönschrift beibringen, ihnen aber später nicht zeigen, wie das Zehnfingersystem auf der Tastatur funktioniert? Welcher Sinn ergibt es, wenn kleine Kinder kilometerlang Papier voll schreiben müssen, ihnen aber nicht erklärt wird, wie effektives Archivieren (Speichern und Wiederfinden) funktioniert? Wir erklären unseren Kindern, wie die Welt von Früher funktioniert und überlassen ihnen der Lernen der Moderne ihren eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten.

Jeder Mensch sollte per Hand einen Text schreiben können. Alleine schon der Notwendigkeit verpflichtet, da nicht überall und jederzeit eine Tastatur vorhanden ist. Postkarten aus dem Urlaubsort wirken als Computerausdruck auch etwas befremdlich. Doch im Gesamten betrachtet, sollten wir unseren Nachkommen die modernen Medien vollständig und ausführlich erklären. Dann bräuchten wir auch weniger Ängste haben, dass die Kleinen sich im Internet „verlaufen“.

Please wait...

Ein Kommentar

  1. Wenn man Wörter in Druckschrift schreibt,dann kann sich ein Kind nicht so gut einprägen wie die einzelnen Wörter richtig geschrieben werden. Das ist genau der gleiche Zusammenhang wie zwischen singen und schneller sprechen lernen. Der weiche Übergang beim singen sowie beim schreiben ermöglicht ein leichtetes Merken.Aber ein dummes Volk lässt sich eben leichter regieren und somit wird sich auch nichts ändern.Jedem Kind sei gratuliert, dessen Elternteil in der DDR unterrichtet wurde.GUTE NACHT DEUTSCHLAND!!!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.